Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
den Platz neben sich angeboten hat. »Du bist wirklich anders als die anderen.«
Was soll das denn jetzt heißen?
»Läuft die Kamera noch?«, frage ich, um abzulenken. Brigitte nickt. »Na, dann solltest du weiterfilmen.« Ich deute über die Brüstung. Brigitte folgt meinem Blick und beginnt zu kichern. Unter den steten Anfeuerungsrufen des Fotographen haben einige der Feuerwehrmänner offensichtlich alle Hemmungen und als direkte Folge alle Kleidung fallen lassen. Die Posen, die bei Monique vorher nur ein bisschen billig aussahen, erreichen einen neuen Höhepunkt.
»Mit so etwas kann man sicher viel Geld verdienen!«, freut sich Brigitte. Dazu sage ich lieber nichts, sehe aber ganz genau hin und sammle Erfahrungswerte für meine nächste Phantasieverabredung mit Herrn Wesseltöft.
***
Donnerstag, 12. Mai
Erst passiert siebenundzwanzig Jahre in meinem Leben ungefähr gar nichts, jedenfalls nichts Unerwartetes, und jetzt alles auf einmal. Ich weiß, ich sollte am Boden zerstört sein. Aber seltsamerweise geht es mir anders. Es passiert mal was. Ich fühle mich eigenartig belebt. Wie eine Heldin im Film, die den Prüfungen des Schicksals ausgesetzt ist. Nur, dass ich noch nicht weiß, wie das Drehbuch weitergeht. Abe der Vergleich passt: Meine Zukunft kommt mir nicht vor wie das Loch, das Kalle und Heiner gebaggert haben, sondern eher wie ein unbeschriebenes Blatt Papier.
Ich fühle mich stark genug, sogar Heiners Mutter (meiner Ex-Schwiegermutter in spe) beim Kartoffelschälen zu helfen und mir ihre Haushaltstipps anzuhören. Sie sagt mir, wie ich den Sparschäler zu halten habe, damit ich die Schale noch dünner abschälen kann. Sie empfiehlt mir, Seifenreste in einem alten Nylonstrumpf zu sammeln und diese Strumpfseife dann statt Duschbad zu verwenden. Und dann schenkt sie mir im Überschwang sogar noch einen alten Brottopf, den sie im Keller zwischen Millionen anderen Töpfen und Übertöpfen gehortet hat. Ich bin gerührt – weil ich weiß, dass ich dieses Leben bald hinter mir lassen werde.
Bloß: Ein neues Leben ist noch nicht in Sicht.
Neulich habe ich gelesen, dass Frauen sich öfter mal »ins Unreine« scheiden lassen. Wenn sie also noch keinen neuen Partner haben. Männer würden eher dazu neigen, sich schon vor der Trennung jemanden zu suchen. Ist es nicht beruhigend, selbst den Statistiken zu entsprechen?
Unter dem Vorwand, ich müsste Staub wischen und ein paar ihrer Spartipps direkt in die Praxis umsetzen, verabschiede ich mich von Heiners Mutter und verkrümele mich unters Dach. Ich suche sämtliche Nagellackreste zusammen – ja, ich habe nicht gelogen, ich werde wirklich Reste verwerten! – und beginne mit einer French-Color-Maniküre. Der Feuerwehrball naht, und da will ich umwerfend aussehen. Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren! Moment, nein, das stimmt gar nicht: Was das optische Erscheinungsbild angeht, habe ich gar keinen Ruf. Ich glaube, das ist noch nie von jemandem wahrgenommen worden – außer von meiner Mutter und von Heiner.
Ach, Heiner. Es ist schon merkwürdig: Jahre habe ich mit ihm zusammengelebt, eingepfercht unter diesen Dachschrägen, und kaum mehr als einen flüchtigen Gedanken an ihn verschwendet. Und jetzt – kaum, dass ich weiß, dass unsere gemeinsame Zeit bald ein Ende haben wird – muss ich immer wieder über ihn nachdenken. Seltsamerweise empfinde ich aber keine Wut. In Filmen und Romanen sind die betrogenen Frauen doch immer rasende Furien, oder eiskalte Rächerinnen, oder auf eine andere Art in der Lage, ihrer Wut und Enttäuschung Ausdruck zu geben. Und ich? Ich bin einfach nur ... ja, was eigentlich? Ein bisschen traurig, glaube ich. Heiner und ich leben nebeneinander her, ohne uns wirklich wahrzunehmen. Wenn ich lachen will, wenn ich mich geborgen fühlen will, wenn ich möchte, dass es mir einfach nur gut geht, dann gehe ich zu Brigitte oder zu meiner Mutter. Heiner wird auch nicht nur aus Langeweile mit Monique in den Laubhaufen gestiegen sein. Er hat mich betrogen – aber ich ihn auch, irgendwie. Und es ist traurig, dass es soweit kommen musste. Denn auch, wenn man sich das heute kaum noch vorstellen kann: Heiner und ich hatten richtig schöne Zeiten miteinander.
Ich erinnere mich an unseren ersten gemeinsamen Feuerwehrball – oder besser gesagt: den Feuerwehrball, an dem wir zum ersten Mal als Paar auftraten, ganz offiziell. Heiner tanzte fast den ganzen Abend mit mir, er versuchte sogar ein paar Schritte Samba statt des ewigen
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