Schlüsselherz (German Edition)
geben. Doch in Wahrheit, das wusste sie leider sehr genau, floh sie vor Worten, die möglicherweise wahr waren und die sie, nur aus dieser möglichen Option heraus, nicht ertragen würde zu hören.
***
Creaker hockte mit tief über sein Gesicht gezogener Kapuze unter der Thuja-Hecke, die den Garten des Theaters nach hinten abgren z te. Jede Bewegung könnte seine Anwesenheit verraten, daher hielt er still und reduzierte sogar seinen Atem auf das Nötigste. Er beobac h tete die beiden Männer, wie sie ein paar Worte wechselten und dann den Garten auf dem gleichen, illegalen Weg, den sie gekommen w a ren, wieder verließen. Selbstredend hatte er versucht, ihr Gespräch zu belauschen, doch als ahnten sie seine Nähe, hatten sie leise g e sprochen, fast geflüstert. Ihr Verhalten sagte ihm jedoch genug: die Zeit war überreif. Wenn sie die Puppe jetzt nicht holten, brauchten sie es gar nicht mehr versuchen.
Er lachte lautlos in sich hinein. Wie gut, dass der Geistliche, der sich um den Verblichenen kümmern würde, schon auf dem Weg war. War der Verblichene erst aus dem Weg, würde Creaker nichts mehr halten. Vor Mitternacht wäre die Puppe in den Händen seines Auftraggebers. Und Creaker in der Lage, dem guten Mann und se i ner guten Familie ein gutes Leben zu schenken. Creakers künstliche Hand knirschte blechern, als er sie zur Faust ballte.
Der gute Mann hatte es verdient.
Kapitel XXI
Valender und Nathaniel hatten sich darauf geeinigt, ihren vermutlich letzten gemeinsamen Abend damit zu verbringen, nach Richmond hinauszufahren und dem Pfarrer Fothergill das Leben schwer zu m a chen. Der Kutscher, der sie fuhr, gefiel Nathaniel nicht. Der Kerl zog ein verkniffenes, misstrauisches Gesicht und sah sich immer wieder durch die Klappe zu ihnen um, als erwartete er, seine Fah r gäste würden noch Ärger machen. Nathaniel bereute, sein Pferd z u hause gelassen zu haben.
Valender, der sich nachdenklich und still verhielt, wies den Ku t scher an, auf der Richmond Hill zu halten, ganz in der Nähe der Universität und einiger Bars, Restaurants und Hotels. Zu Fothergills Haus mussten sie noch ein ganzes Stück laufen, doch sie erweckten wenigstens keinen Verdacht. Obgleich es inzwischen stockfinster war, gingen sie zwischen Rotbuchen und Kastanien hindurch und nahmen eine Abkürzung querfeldein durch den Park Terrace Ga r dens. Mit matschigen Schuhen bogen sie in die Petersham Road ein und hatten nach weiteren zehn Minuten Fußmarsch das abseits li e gende Haus erreicht, das ihr Ziel darstellte. Es war jemand daheim.
Im Schatten blühender Rhododendren und mit viel Abstand zur Gartenlaube beobachteten sie, wie Fothergill alle Fensterläden schloss, erst im ersten Stock, dann im Erdgeschoss. Sie wechselten einen Blick, als sie erkannten, dass der Mann einen Mantel trug. Entweder funktionierte die Heizung nicht, oder er würde noch au s gehen. Sie mussten nicht lange warten, ehe die Tür geöffnet wurde, der ehemalige Pfarrer sich verstohlen umsah und das Haus verließ. Sie folgten ihm in stillschweigendem Einvernehmen über d i e River Lane zum Ufer der Themse. Dort potenzierte der Geistliche seinen Verdächtigenstatus, denn er stieg in ein dampfbetriebenes, kleines Boot, das nur auf ihn gewartet zu haben schien. Unter pumpenden Geräuschen entfernte es sich vom Ufer, eilig, als hätte Fothergill bemerkt, dass er verfolgt wurde, und eine Aschewolke zurückla s send.
Ratlos blickten Nathaniel und Valender sich an. Es war Valender, der als Erstes wieder sprach. „Der hat uns gelinkt. Ohne Boot kri e gen wir ihn nicht, es hat überhaupt keinen Sinn, eine Kutsche zu rufen.“ Ungeachtet seiner Worte zog er sein radiomobiles Telefon aus der Tasche, drückte auf die Tasten und bestellte einen Fahrer so schnell es ging zu ihrem Standort. „Zehn Minuten“, gab er seufzend die Auskunft der Kutschzentrale an Nathaniel weiter.
„ Bemerkenswert schnell, wenn das wirklich stimmt. Aber bis dahin kann er überall sein.“
„ Leider.“ Valender stand ebenjener Frust im Gesicht, den Nath a niel spürte. „Hast du das Boot genauer angesehen? Ist dir irgende t was aufgefallen?“
„ Einfaches, braunes Holz, veralteter Dampfmaschinenantrieb. D a von fahren Hunderte auf der Themse auf und ab.“
„ Nur nicht dann, wenn man sie braucht“, warf Valender ein und spähte über das Wasser. Doch niemand fuhr mit einem Boot vorbei und hätte sie ein Stück mitnehmen können. Zwar konnte man Boote ähnlich Kutschen mieten,
Weitere Kostenlose Bücher