Schlüsselherz (German Edition)
wohnte.
Ein Zufall? Nathaniel glaubte nicht an Zufälle. Seiner Intuition vertrauend, ließ er die Federn Federn sein, griff nach seinem radi o mobilen Telefon und schaltete es ein. Mit einem leisen Fauchen nahm die winzige Dampfmaschine im Inneren des Geräts ihre Arbeit auf und Nathaniel gab die Verbindungsnummer zu Valenders RMT ein.
„ Ja!“, keuchte dieser durch den Äther. Es klang, als sei jemand hi n ter ihm her.
„ Valender, wo bist du?“
Es knarzte und rauschte. „Kutsche suchen“, glaubte Nathaniel zu verstehen. „Keyman … nur Esel.“
„ Ich habe einen Verdacht, wo Cera ist. Ich glaube, sie bringen sie zu Fothergills Haus.“ Frag mich jetzt nicht warum, fügte er in G e danken hinzu, denn er hatte keine Gewissheit und nichts Handfest e res als die Tatsache, dass die grobe Richtung stimmte. Das war reic h lich wenig. Doch die Vorstellung beunruhigte ihn, und das war ein Indiz dafür, dass er richtig lag. Was mochte der alte Kauz vorhaben? „Ich reite nun dorthin. Komm nach so schnell du kannst.“
Von Valender kam keine verständliche Antwort mehr. Die ve r dammten Londoner Kohlewerke produzierten nachts, wenn es der Dunkelheit wegen weniger auffiel, im Akkord, was den Äther verpe s tete, sodass man kaum noch telefonieren konnte. Hoffentlich hatte Valender wenigstens seine Worte vernommen.
Nathaniel hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Sein Gefühl sagte ihm, dass es nun auf jede Sekunde ankam. Er saß auf und ließ seinen Rappen angaloppieren.
***
Creaker hielt die gebündelten Pfundnoten im Arm wie ein neugeb o renes Baby. Sie schienen ebenso viel Leben in sich zu tragen. So viel Hoffnung. Sie waren der Anfang eines neuen Lebens für den guten Mann und seine Familie.
Und weil jeder neue Anfang zuerst ein Ende erforderte, fasste Creaker einen Entschluss. Er würde nie wieder für den Mann am Telefon arbeiten. Er würde überhaupt nie wieder arbeiten. Wenige Zeit zuvor, als er dem Verblichenen gegenübe r gestanden hatte, der ihn beinah e zu Tode erschreckte, ehe der Pfa r rer gekommen war und den Geist mit einem barbarischen Fluch in tausend Fetzen geri s sen hatte, war er sich bereits sicher gewesen.
Diese Welt war kein Ort mehr für Creaker.
Er versteckte das Bündel Geld unter dem Bett des guten Mannes. Dann legte er sich nieder.
Er würde nie wieder aufwachen.
***
Vom Keuchen brannte Valender die Kehle. Keyman hatte keine Pferde im Stall – bloß einen armen, einsamen Esel. Die verfluchten Kutschen hatten sich scheinbar allesamt gegen ihn verschworen, sie preschten an ihm vorbei, wenn er nach ihnen rief und so musste er mehrere Kilometer des Weges rennend zurücklegen. Sein Arm brannte, aber das spornte ihn nur an. Endlich hatte eine uralte Kutschfahrerin Erbarmen und hielt neben ihm.
„ Wo soll’s‘n hingeh’n?“
Er nannte die Adresse, während er in die offene Kutsche stieg und gedanklich um ein Wunder bat. Das Pferd war ein veraltetes Modell; auf dem Wertstoffhof wurden sicher jeden Tag Exemplare in die Schrottpresse geführt, die in besserem Zustand waren. Der Wagen war kaum moderner, die Federn quietschten unter Valenders G e wicht und die Polster rochen nach Schimmel.
Schwerfällig wandte sich die Alte zu ihm um. „Nervös schau’n Se aus, wenn ich des sag’n darf.“
Er gab sich größte Mühe, nicht mit den Augen zu rollen. „Hören Sie, Miss. Ich bin in allerhöchster Eile. Es wäre zu freundlich, kön n ten Sie endlich losfahren.“
Sie musterte ihn. Sie war offenbar überhaupt nicht in Eile. „Was Wichtiges?“
„ Überlebenswichtig.“
Da lachte sie und ließ perlweiße Zähne in ihrem verwitterten G e sicht erkennen. „Ein Mädchen also. Na, dann woll’n mer doch ma.“ Gemächlich wandte sie sich wieder nach vorn, nahm die Zügel auf, sortierte sie zwischen den steifen Fingern und griff schließlich zur Peitsche. Statt sie zu benutzen, schnalzte sie jedoch bloß leise mit der Zunge. Das Geräusch erinnerte Valender eher an ein Locken von Kätzchen statt an das Antreiben eines Pferdes. Er ließ die Stirn in seine Hand sinken, befürchtete, vor dem Morgengrauen nicht mehr anzukommen und wunderte sich kurz über den Schwindel, der ihn erfasste.
Mit Mühe und schweren Händen rieb sich Valender die Stirn. Ihm war ganz flau. Irgendwo in weiter Ferne hörte er die Sirenen der Feuerwehr, und in der Nähe bellten Hunde. Was war geschehen? War er … ohnmächtig geworden?
„ Müde, wa?“, fragte die Alte. Sie hatte sich auf
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