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Schlüsselherz (German Edition)

Schlüsselherz (German Edition)

Titel: Schlüsselherz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Abigail
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dieser simpel geschaffene Zeitgenosse zumi n dest unabhängig von den Menschen war. Verbrennungsmaterialien fanden sich überall, und seinen Luftfilter konnte er gewiss selbs t ständig auswechseln. Andererseits waren die Ausstöße an Dampf, die er ähnlich einem menschlichen Schluckauf in regelmäßigen Abstä n den von sich gab, wohl jeder Kommunikation abträglich. Vielleicht hatte sie es mit ihrem inneren Uhrwerk doch besser, auch wenn Mr Keyman, der ihren Schlüssel sorgsam verwahrte, sie dadurch in der Hand hatte.
    Wenn Mr Keyman wüsste, dass und aus welchem Grund sie heute hier war …
    Nun würde sie es also tun; das, was die Menschen Sünde nannten. Es war geringer Trost, dass jene, die sie immerzu eine Hurenpuppe genannt hatten, nur ihrer Zeit voraus gewesen waren, und sie alle Wut, die die Bezeichnung geweckt hatte, nun gehen lassen konnte. Sie war drauf und dran, die Beleidigungen wahr zu machen.
    Seufzend blickte sie erst zum Restaurant und dann auf den winz i gen Chronografen, den sie an einem Ring an der linken Hand trug. Der Buchhändler hatte sie für Punkt elf Uhr herbestellt, es war zwei Minuten nach elf, aber sie sah ihn nirgendwo. Er erwartete doch nicht, dass sie die Orangerie betrat, oder doch? Das Restaurant ve r wehrte ihr den Zutritt nicht offiziell, doch sie wusste sehr genau, mit welch kritischen Augen i hresgleichen in derartigen Etablissements betrachtet wurden. Die feine Gesellschaft genoss es, Puppen auf der Bühne zu bewundern. Doch wenn es nach ihnen ging, hatten diese magischen Wesen auch dort zu bleiben, wo sie hingehörten: In den Theatern, Zirkussen und Kuriositätenkabinetts sowie im Hinte r grund, mit dem niedere Bedienstete sich zu ummanteln hatten bis hin zur Unsichtbarkeit. Heute fand Cera, dass sie im Recht waren.
    Der Dampfarbeiter bewegte sich auf ein Stück weggeworfenes P a pier zu, trat jedoch schnell zurück, als drei schwatzende Damen des Weges kamen. Sie gingen an ihm vorbei, traten über das Papier und wehten es mit ihren langen Reifröcken über den Boden, ohne etwas zu bemerken.
    Wie blind sie alle waren.
    Cera erschrak über ihre eigenen Gedanken. In letzter Zeit waren diese oft so negativ, dass sie sich selbst kaum wiedererkannte. Es musste die Sorge um Yasemine sein. Angst um jemanden zu empfi n den, war ihr vollkommen neu. Bisher war immer alles so sicher g e wesen. So vertraut.
    Auf einmal bemerkte sie aus dem Augenwinkel, wie jemand auf der Terrasse winkte. Es war Mr Valender Beazeley. Er saß an einem der blütenweiß gedeckten Tische unter dem ebenso blütenweißen So n nenschirm. Sie hatte ihn nicht erkannt, da er ihr zuvor den Rücken zugewandt hatte. Außerdem war sie fest davon überzeugt gewesen, er würde wieder Schwarz tragen. Doch heute waren sein Anzug und der Trilby-Hut von der hellen Farbe, die Vanillecreme hatte.
    Cera winkte zurück und hoffte, dass der Buchhändler seinen Brunch beendet hatte und sie nicht gezwungen war, sich zu ihm auf die Terrasse zu begeben. Das Ganze war demütigend genug. Stur blieb sie auf dem Platz vor dem Restaurant stehen. Eine Kutsche fuhr heran, hielt dicht neben ihr und verdeckte den Blick auf die Orangerie. Sie zupfte an ihrer Bluse und dem straff gebundenen Mieder und betrachtete ihr geisterhaftes Spiegelbild im auf Hoc h glanz polierten Kirschholz der Wagenwände. Diese nach außen so unnatürlich, ja, monströs makellose künstliche Frau würde in wen i gen Augenblicken ihren Körper verkaufen, und damit das, was die Menschen Unschuld nannten – wovon sie nicht wusste, ob sie es besaß. Schließlich schloss sie die Knöpfe ihres Mantels bis hoch zur Kehle, obgleich die Temperaturen dies selbst bei einem Menschen nicht erfordert hätten.
    Kurz darauf kam Valender die Terrasse entlang und verließ sie über die Rampe, statt die Treppe. Er schob einen Rollstuhl vor sich her.
    Wenn ihr menschliche Regungen nicht für den Moment vollko m men entfallen wären, hätte sie verwundert die Stirn krausgezogen. Im Rollstuhl saß eine junge Frau, vielleicht noch ein Mädchen; das war schwer auszumachen. Über ihren Beinen lag eine wollene Decke und ihr Kopf lehnte seitlich an einer gepolsterte n Lehne. Sie gab e i nen kehligen Laut von sich, Speichel lief ihr aus dem offenen Mund. Va l ender blieb stehen, tupfte ihr Kinn mit einem Tuch ab und sprach zu ihr. Cera konnte seine Worte nicht hören, dafür schnatterten die Leute zu laut, die neben ihr in die Kutsche stiegen. Der Kies unter den Kutschrädern knirschte zu

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