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Schlüsselherz (German Edition)

Schlüsselherz (German Edition)

Titel: Schlüsselherz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Abigail
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halbrund angelegten Hecken gesäumt und dadurch vom Weg nicht einzusehen war. Ein paar Bänke standen im Schatten der Hecken. Er parkte den Rollstuhl zwischen ihnen, um neben seiner Schwester Platz zu nehmen. Cera knöpfte ihren Mantel auf und reichte ihn Va l ender. Sie versuchte, nicht mehr an die Reizwäsche zu denken, die ihr plötzlich vor Scham auf der Haut kratzte, als sei sie aus Draht gewirkt. Wie hatte sie denken können, er wolle sie benutzen, wenn er in Wahrheit nur seiner Schwester eine Freude machen wollte? Meli s sa gab ungeduldige Laute tief aus ihrer Kehle von sich und klatschte einen holprigen Takt. Ein Blick von Valender mahnte Cera zur Eile.
    Sie entschied sich für ein Stück aus dem aktuellen Ballett. Es b e gann mit einem tiefen Kompliment, dann tanzte sie in flinken Piro u etten einen Halbkreis über ihre kleine Bühne. Sie musste improvisi e ren, denn in Stiefeletten war kein Spitzentanz möglich und auch alle großen Sprünge musste sie weglassen, da ihr Rock bis übers Knie eng anlag und erst ab der Mitte ihrer Waden zum Boden hin weit auslief. Doch die kleinen, schnellen Schritte des Tanzes ließen ihre Absätze wie spanische Kastagnetten klappern und die vielen Dr e hungen, die den Rocksaum fliegen und die glockenförmigen Bl u senärmel flattern ließen, gefielen Melissa bestimmt. Sie sah ihre Z u schauer nur aus dem Augenwinkel, zwei Gesichter inmitten ve r wischtem Grün und einer Kuppel aus Himmelblau, während sie sich ganz auf den Tanz konzentrierte. Doch sie hörte Melissas Stimme; ein euphorisches Heulen, und es trieb sie an, sich noch schneller zu drehen, noch flinker zu tanzen, ihre Füße fliegen zu lassen, so g e schwind, wie es keine Musik erlaubt hätte. Noch nie hatte sie so g e tanzt! Es war wild und frei. Und sie war es auch, in dem Augenblick, da sie nur für Melissa tanzte, um ihr eine Freude zu machen, ohne den Druck von Mr Keyman oder den Theaterbesuchern oder dem Geld, was sie einbrachten. Es ging um nichts anderes als Freude. Wild und frei.
    Und dann durchbrach etwas das verwischte Grün und das Hi m melblau und das Wilde und Freie.
    „ Hör auf!“
    Sie stoppte so abrupt, dass sie auf die Knie fiel. Jedem Menschen wäre schwindelig gewesen, doch Cera sah sofort glasklar. Sie sah, wie Melissa weinte, sich mit verkrampfen Fingern an Valender fes t klammerte, das verzerrte, tränenüberströmte Gesicht in seine Hal s beuge presste.
    „ Naaa!“, jaulte sie, während Valender sie sanft in seinen Armen wiegte. Seine leisen Zischlaute, die sie beruhigen sollten, gingen unter in ihrem Weinen. „Naaa.“ Und: „Muuu.“
    Und Cera wusste zwar nicht, was sie getan hatte, war sich aber in einem sicher: Sie hatte irgendetwas desaströs falsch gemacht.
     
    ***
     
    Valender musste Melissas Zähne mit sanfter Gewalt aus seiner Schulter lösen. Er spürte etwas Blut austreten. Es sickerte in sein Hemd, wo es hoffentlich unsichtbar bleiben würde. Nur langsam beruhigte sie sich, noch immer flatterten ihre Lider, ihre Hände zi t terten und um ihren Mund gruben sich tiefe Falten ein, so sehr ve r kniff sie die Lippen. Nur weil er sie schon ihr ganzes Leben lang kannte, konnte Valender den kleinen Unterschied ausmachen, der zwischen Panik- und Wutanfällen bestand. Dies hier war Wut. Keine Angst.
    Mit leerem Blick trat Cera heran, kniete sich hin und legte eine Hand auf Melissas Knie. „Es tut mir so leid“, flüsterte sie. „Habe ich Sie erschreckt? War ich zu wild? Das wollte ich nicht, das müssen Sie mir glauben.“
    Cera irritierte ihn beinah e mehr als der Anfall seiner Schwester. Wie offen sie an Melissa herantrat! Wie selbstverständlich sie sie b e rührte, trotz dem, was Melissa gerade getan hatte. Und wie bekle m mend, dass sie alle Schuld auf sich nahm, statt sich zu beklagen, dass Meli s sa sich fürchterlich aufführte.
    „ Muuu!“ Melissa zog die Brauen zusammen. Sie trat nach Cera, soweit es die Gurte zuließen, mit denen Vater ihre Beine fixiert hatte, damit sie sich nicht verletzte. Er wollte sie schon ausschimpfen, aber Cera war ihren Füßen ausgewichen und schlug sich eine Hand vor den Mund, als hätte sie etwas schrecklich Wichtiges vergessen.
    „ Mu?“, fragte sie.
    Melissa schmollte. „Muuu.“
    Und Cera lachte. „Ach herrje. Ach. Herrje. Ich verstehe. Sie me i nen die Musik, nicht wahr? Sie haben recht. Natürlich, Sie haben recht. Die Musik fehlt. Tanz und Musik – das gehört zusammen.“
    „ Muuu“, machte Melissa und wirkte schon

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