Schlüsselherz (German Edition)
im wahrsten Sinne des Wortes – aus demselben Holz geschnitzt waren.
„ Mis-ter.“
Die Knirschnackenpuppe stand neben ihm. Vollkommen lautlos war sie herangetreten. Fast wäre er zusammengezuckt. Er hatte gar nicht darauf geachtet, dass das Geklapper des Morse apparat s ve r stummt war. Mit gesenktem Kopf hielt sie ihm ein Programmheft hin.
„ Danke, aber ich bin nicht hier, um mir das Ballett anzusehen.“
Sie reagierte kaum, schob nur ihre Hände mit dem dargebotenen Heft näher an ihn heran und richtete ihre Augen dabei auf die Pr o grammtafel. Valender begriff. Mit dem Betrachten der Tafel hatte er offenbar ein System gestartet, was die Puppe dazu veranlasste, ihm das Programmheft zu übergeben.
Er musste sich wieder bewusst machen, dass sie funktionierten wie Apparaturen. Sie alle. Auf bestimmte Reize zeigten sie einprogra m mierte Reaktionen. Er nahm das Programmheft an sich und die Puppe hob das Kinn.
Sie wies auf die breite Treppe, die im Halbrund auf die Galerie führte. „Mrs – Keyman. Erwartet – Sie. Im – Büro.“
„ Mrs Keyman? Entschuldige, aber ich war mit Miss Cera verabr e det.“
„ Mrs – Keyman. Erwartet – Sie. Im – Büro.“
Er seufzte und gab sich keine Mühe mehr, vor dem Geschöpf zu verbergen, wie sehr es ihn nervte. Wer immer diese Puppe pr o grammiert hatte, ein Meister seines Fachs war er nicht. Der gröbsten Regeln des Anstands wegen tippte er an seinen Trilby, bevor er die Treppe hinaufging, die mit royalblauem Teppich ausgelegt war, der offenbar schon seit Jahren von den Füßen der Besucher durchgetr e ten wurde. Überall schimmerte schmutziger Holzboden durch, und an manchen Stellen musste man aufpassen, um nicht über die sich aufrollenden Teppichkanten zu stolpern. Oben angekommen führte ein breiter Türbogen zu den Zuschauerrängen. Weitere Türen wiesen die Beschriftung „Künstler“, „WC“ sowie „Privat“ auf, an die letzte klopfte er. Die Damenstimme, die ihn hereinbat, hatte etwas Energ i sches, fast Dominantes. Als er eintrat, glaubte er zunächst, sie wäre vom Tonband gekommen, weil sie überhaupt nicht zu der spinde l schlanken Lady zu passen schien, die dort neben ihrem Schreibtisch stand und ihn neugierig musterte. Sie war etwa Mitte d reißig, besaß die giftgrünsten Augen, die er je gesehen hatte, scharfe Wangenkn o chen und sanft geschwungene rosarote Lippen. Dieses weibliche Schönheitsideal konnte unmöglich so plärren. Doch zu seinem E r schrecken wies sie sich sogleich als Eigentümerin des kräftigen O r gans aus, denn sie sagte: „Mr Beazeley“, so spitz und pointiert, als riefe sie empört ‚So ein Biest!‘. „Wie schön, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich freue mich ganz außerordentlich, dass Sie sich berei t e r k l ärt haben, die Ermittlungen meines Mannes zu unterstützen.“
Valender ließ den Blick rasch durch das Büro schweifen. Ein Schreibtisch mit Sesseln auf der einen Seite, eine bequemere Sit z landschaft aus zwei Sofas, eines mit Ottomane, darüber ein überd i mensionales Gemälde eines Reiters auf stattlichem Ross in einem üppigen Goldrahmen.
„ Nun, ich will mal schauen, ob ich helfen kann, Mrs …“
„ Keyman, Lyssandra Keyman, und Sie nennen mich Lyss.“ Ihr L ä cheln war kurz, aber honigsemmelweich. „Und da bin ich doch sehr zuversichtlich. Cera hat uns so viel von Ihnen und Ihren Erfolgen erzählt.“
Sie hatte … was? Ja, richtig. Gerade rechtzeitig, bevor er ein der S i tuation angemessenes dummes Gesicht ziehen konnte, fiel ihm ein, dass Ceras Plan lautete, ihn als Privatermittler vorzustellen, um an die verschwiegenen Informationen zu gelangen. Er war davon au s gegangen, diesen Plan noch einmal mit ihr durchzusprechen, und zu seiner Schande war er außerdem davon ausgegangen, Cera hätte e i nen Plan, der über dieses doch recht grob konstruierte Gerüst hi n ausging. Stattdessen hatte sie ihn kurzerhand ins gefrierende Wasser fallen lassen. Wie überaus reizend …
„ Um ehrlich zu sein“, sagte er beklommen, „hatte ich heute mit Miss Cera gerechnet.“
Sie winkte ab, nahm in der gleichen Bewegung eine Brille, deren Gestell aus winzigen, aneinander geschweißten Messingrosen b e stand, aus dem Regal und schob sie sich ins Haar. „Cera hat zu tun. Mein Mann bestand auf eine zusätzliche Probe der improvisierten Variante eines Balletts. Sie müssen das verzeihen, Yasemines Die b stahl bringt alles durcheinander.“ Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge, als wäre die
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