Schlüsselherz (German Edition)
Ihnen!“
Sie traten ins Foyer, in dem alles blitzte und blinkte und mit blauen Lampions und weißen Lilien geschmückt war. In der Mitte des her r lichen Raumes waren zwei gläserne Kästen aufgestellt, die an Schneewittchen-Särge erinnerten, sowie ein gleichgroßes Objekt, das von Tüchern verhangen war. Valender hatte sich bereits gefragt, w a rum die Witwe derart offen zu ihm war, obwohl sie keinen Grund haben durfte, ihm zu vertrauen. Nun wurde es ihm klar. Alles, was sie ihm verriet, würde später am Abend vor der Öffentlichkeit au s gebreitet. Die Entdeckung, die die Alchemisten in ihrem Auftrag gemacht hatten, war das Thema und der Grund für den Empfang.
Gemeinsam traten sie an die bisher bloß spärlich beleuchteten Glaskästen heran. Im ersten war ein physikalischer Versuch aufg e baut: Eine Gleißdrahtlampe beschien einen Saphir von einer Größe, die auf einen schier unfassbaren Wert hindeutete. Das Licht fiel in eine Glasschale, in der blaue, an winzige Kaulquappen erinnernde Lebewesen durch klares Wasser schwammen.
„ Es ist natürlich nur ein Modell, um die Funktionsweise zu sim u lieren“, erklärte Mrs Macallistor. „Der Saphir ist echt, aber es funkt i oniert nur mit gebündeltem Sonnenlicht, an das wir im Verlauf des Abends nicht mehr gelangen. Außerdem ist Seele nicht sichtbar, d a her die kleine Kultur eingefärbter Mikroben, die sich, wie ich zug e ben muss, auch im Dunkeln rapide vermehren würden. Aber anhand der Nachbildung können Sie sich vorstellen, wie es funktioniert.“
„ Faszinierend, in der Tat.“ Valenders Erstaunen war echt. „Und es braucht nur ein wenig Seele, um den Vorgang in Gang zu setzen und genug für ein menschenähnliches Wesen zu schaffen?“
Mrs Macallistor trat an den zweiten Glaskasten heran, in dem sich mechanische Mäuse tummelten, viel zu quicklebendig als es normale synthetische Tiere sein könnten. „Seele ist wie ein Pilz“, sagte sie, klopfte ans Glas, worauf die Nagetiere sich neugierig der Scheibe näherten. „Man braucht nur eine Spore und gute Bedingungen, dann wächst und gedeiht sie wie Unkraut. Mit entsprechender Zeit, genug blauen Saphiren und dem Sonnenlicht könnten wir Legionen mit Seele füllen.“
Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Ihre Worte klangen ebenso fesselnd wie abstoßend. Welche Macht hätte ein Mensch, der nach Belieben Puppen mit Seele schaffen konnte? Bestand überhaupt noch ein Unterschied zum Menschen? Ganz eindeutig nicht, solange er an Cera dachte. Doch er war noch hinreichend seines Vaters Sohn, um das Prinzip, nach dem die clevere Puppe lebte, für absolut unerhört zu halten. Und zum Schluss blieb noch die Frage: Selbst wenn seelenvolle Puppen mit Menschen gleichzusetzen waren – war es dann nicht erst recht ein Frevel, sie zu schaffen?
Er trat an die andere Seite des Mäuse-Schaukastens, nutzte die G e legenheit, sein Glas unbemerkt abzustellen und zu vergessen, und sah die Witwe durch die Glaswände an. „Woher erhalten sie die Sp o re, mit der alles beginnt, Mrs Macallistor?“
Ihre Lider verengten sich, was die Brillanten in ihren Wimpern funkeln ließ. „Eine sehr kluge Frage. Seele wächst nicht an Bäumen. Wie bewandert sind Sie in den Geisterwissenschaften?“
„ Geisteswissenschaften?“
„ Nein, Mr Beazeley, Sie haben mich schon richtig verstanden. Ich sagte Geisterwissenschaften.“
Unwissend hob er beide Hände. „Mein Wissen ist rudimentär, fürchte ich.“
„ Es ist sehr schnell erklärt. Die Verblichenen bestehen aus beso n ders zäher Seele, gebunden in Energie, die nach dem Tod nicht, wie es üblich ist, zerfällt. Um an ein Quäntchen Seele zu gelangen, reicht es, die Energie mittels Chromatografie von der Seele zu trennen – stellen Sie sich das vor wie ein Sortieren nach Farben. Die so g e wonnene Seele wird anschließend durch Destillation von allen ve r bleibenden Reststoffen gereinigt; wir nennen das Resultat Klarseele, weil das Endprodukt nahezu unsichtbar wird. Die Araber verwenden dieselbe Technik; hin und wieder sperren sie diese Klarseele auch in Messinglampen und verkaufen sie als Dschinns – alles nach der gle i chen Methode. Ein Verblichener ergibt zwar nicht mehr Klarseele, als eine Fliege fressen kann, aber das ist alles, was wir brauchen.“
„ Ansonsten bleibt vom Verblichenen nicht viel übrig, vermute ich.“
„ Mr Beazeley, haben Sie Ihren Drink gar nicht genossen?“
Valender fand, dass die Frage ihm nicht behagen sollte, beantwo r tete sie aber
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