Schlüsselherz (German Edition)
sah er Vale n der durch die Schaufensterscheibe still und mit gebeugten Schultern in der hintersten Ecke des Ladens sitzen, die Nase blicklos in ein Buch gesteckt, das mehr wie ein Schutzschild wirkte, denn wie Les e stoff.
Cera bereitete Nathaniel größere Sorgen. Er war ein paar Mal im Keyman Theatre gewesen, hatte sie aber nie gesehen. Auf der Bühne trugen die Puppen Kostüme und manchmal Masken, einige verdec k ten die Gesichter, sodass er unmöglich sagen konnte, ob Cera auf der Bühne stand. Im Anschluss der Vorstellung mischte sie sich nie unters Publikum. Mr Keyman ließ sich nach mehrmaligem Bitten zu ein paar Worten herab und erklärte ihm, dass Cera nach dem schän d lichen Verrat noch zu verletzt sei und ihre Ruhe wünschte. Davon ganz abgesehen, so Keyman, sei Nathaniels Anwesenheit im Theater nicht erwünscht.
Da hatte der geistig ausgebremste Theaterdirektor also im Nac h hinein doch noch eins und eins zusammengezählt und war zu dem Schluss gekommen, dass Nathaniel das Gemälde verzaubert hatte. Na, wer denn auch sonst.
Alles in allem fühlte Nathaniel sich bescheiden nach der Aktion. Sie war ein Schuss in den Ofen gewesen und hatte nur Kummer ve r ursacht. Was ihn nur selten störte – in diesem Fall aber ausnahm s weise einmal schon. Er mochte Cera und fand, dass sie ein solch unglückliches Ende nicht verdient hatte. Und auch für Valender hä t te er sich etwas anderes gewünscht, auch wenn der an seiner Seele n qual selbst Schuld trug und sie daher ruhig ausgiebig auskosten sollte. Ach, seit wann machte er sich überhaupt so viele Gedanken? Schlug da tatsächlich irgendwo tief in ihm das romantische Herz seines V a ters, wie seine Mutter immer behauptete? Hilfe, wenn das der Fall war, würden sie ihn nachher noch aus dem elitären Kreis von Lo n dons Misanthropen-Club rausschmeißen.
Er erinnerte sich wieder daran, wie sein Vater zu einem tragischen Ende gefunden hatte, und verbot sich, weiter an Cera und Valender zu denken.
Und er hätte auch nicht mehr an die beiden gedacht. Ganz sicher nicht, darauf hätte er geschworen.
Wenn nicht …
Es war ein sonniger Tag Anfang Mai, und Nathaniel Charles ve r spürte aus ihm unerfindlichen Gründen seit Tagen denkbar miese Laune. Selbst Jesus am Kreuz musste besserer Stimmung gewesen sein als er. Und zu allem Überfluss hatte er auch noch eine Kundin in seinem Salon hocken und schaffte es einfach nicht, sie abzuschü t teln, ohne den Auftrag zu verlieren.
Die Dame bestand darauf, dass er eine Zeichnung vorlegte, ehe er ihr Gesicht in Öl festhielt, um keine „bösen Überraschungen“ zu erleben. Sie würde sich noch wundern, was sein persönliches Ve r ständnis von künstlerischer Freiheit möglich machte. Ergeben ski z zierte er ihre Gesichtszüge und zeichnete ihren winzig kleinen Schönheitsfleck versuchsweise groß wie eine Erbse. Sie reagierte nicht darauf, sondern fuhr fort, über die Farbauswahl zu lamenti e ren, als hätte sie Ahnung.
„ Ich wünsche in jedem Fall dieselben Farben, mit denen Sie auch Lady Cercerly gemalt haben. Dieses mondäne Braun, das so verga n gen wirkt … so modern und zugleich klassisch, so über die Zeit e r haben, so …“
„ So tot“, murmelte er.
„ Sagten Sie etwas, Mr Charles?“
Er schüttelte den Kopf und machte den Leberfleck auf seiner Skizze zu bösartigem Hautkrebs. Seine Kundinnen wollten erfa h rungsgemäß nicht wissen, woraus sein „mondänes Braun“ wirklich bestand, also war er höflich und schwieg. Auch, dass die Farbe ke i neswegs so zeitlos war, sondern an der Zeit zerbrach, erklärte er nicht. Es waren die hauchfeinen Risse, die den Bildern ihr ganz b e sonderes Flair verliehen. Erst in zwanzig, dreißig Jahren würden die Gemalten sehen, dass dieser Prozess keinesfalls irgendwann zum Ende kam. Die Bilder würden im Laufe dieser Zeit lebensechte Fa l ten bekommen und in achtzig bis hundert Jahren völlig verfallen sein. Was kümmerte ihn das? – Auch er war bis dahin verfallen. Sol l ten die Erben ihre Beschwerden ruhig an die Adresse seines Grabes schicken. Hübsche Vorstellung – ein Briefkasten anstelle des Gra b steins. Er würde das in seinem Testament festhalten.
„ Das Braun garantieren Sie mir also?“
Er zuckte mit den Schultern. „Das wird Ihr Bild, Madam. Was immer Sie wünschen.“
Sie strahlte, als hätte er ihr ein Kompliment gemacht, und erwide r te etwas, doch Nathaniel hörte nicht länger zu, sondern trat zum Fenster, weil er Hufschlag auf der Straße
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