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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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hatte übersehen können, war ihm unklar. Aber man mußte zweimal hinsehen, um den Damenbart an ihrem Kinn zu erkennen – so fest wie die Schnurrhaare einer Katze und ebenso durchscheinend –, und was ihn anging, so mochten die roten Flecken, die inzwischen die bildschöne Haut ihrer Hände und ihres Halses zierten, nichts weiter sein als Spritzer von Spaghettisauce, als wäre sie dem Topf etwas zu nahe gekommen.
    Ein Verehrer, der etwas weniger geblendet vom Licht der Gewißheit gewesen wäre als Baldassare, hätte diese kleinen Makel wohl zu ihrem Nachteil ausgelegt, Baldassare aber vergötterte sie alle. Sie gehörten zu ihr, waren Teil jener Besonderheit, die sie unter allen Frauen einzigartig machte. Zufrieden sah er zu, wie Hüften und Hinterteil schwollen, so daß sie schon mit Neunzehn einen Watschelgang hatte, voller Glücksgefühl beobachtete er, wie die roten Flecken sich von ihrem Hals auf Wangen und Stirn ausbreiteten und wie das rechte Auge langsam nur noch seitlich nach außen zum Fenster hinausschielte, denn mit jedem Tage war er sicherer, sie würde die Seine. Wer sonst könnte in ihr sehen, was er sah? Wer sonst könnte sie so lieben, wie er es tat? Wer sonst als Baldassare Forestiere würde hervortreten und sich für sie erklären? Und erklären wollte er sich sehr bald – sobald er mit dem Graben fertig wäre.
    Zwei Jahre vergingen. Er arbeitete für andere Menschen, sparte jeden Cent seines Lohnes auf, knausriger als der geizigste Geizhals, und in seiner freien Zeit grub er. Sobald ein Gang oder ein Raum geschafft war oder er sich für einen Lichthof zum Himmel hinaufgebohrt hatte, sah er vor seinem geistigen Auge gleich den nächsten Gang und das Zimmer dahinter. Er hatte eine Vision, jawohl, und er dachte auch immer an Ariadne, und er war nun einmal kein Mensch, der tatenlos herumsaß. Zum Briefeschreiben fehlte ihm die Gabe, er spielte weder Geige noch Mundharmonika, und seine Nachbarn besuchte er nur selten. Es gab ein Vaudevilletheater, aber das lag weit entfernt, und er ging dort nur ein einziges Mal hin, mit Luca Albanese, einem Weinbauarbeiter, mit dem er sich angefreundet hatte. Dort gab es Komiker und Jongleure und hübsche Frauen, die herumhüpften wie aufgescheuchte Vögel, doch die ganze Zeit über bereute er die zwei Cents, die ihn die Straßenbahn gekostet hatte, und die fünfzehn Cents für den Eintritt, und er ging niemals wieder hin. Nein, er blieb zu Hause mit seiner Schaufel und seiner Vision, und oftmals wußte er nicht, ob es Tag war oder Nacht.
    Die Samstage aber hielt er heilig. Samstag war der Tag, an dem er die fünf Kilometer zu Siagris’ Drugstore marschierte, durch winterliche Regenstürme und sommerliche Hitze, die schon einmal fünfundvierzig Grad erreichte. Auf seine Beständigkeit war er stolz, und er dachte zufrieden daran, daß Ariadne seinen allwöchentlichen Besuchen ebenso freudig entgegensah wie er. Sein Platz am Ende der Theke war immer frei, wie für ihn reserviert, und er genoß das verschämte Lächeln, mit dem sie ihn begrüßte, und die süß dahinplätschernden vertrauten Redensarten, die ihr so leicht über die üppigen amerikanischen Lippen glitten: »Und, wie geht’s so?« – »Schöner Tag heute.« – »Ob’s jetzt bald regnen wird?«
    Mit der Zeit wurden sie zunehmend inniger miteinander bekannt. Sie erzählte ihm von den Rückenschmerzen des Onkels, von ihrer kranken Katze und der Beförderung ihres ältesten Bruders zum stellvertretenden Hallenleiter in der Eisenhütte von Chicago, und er wiederum erzählte ihr von seiner Ranch und der Eleganz und Großzügigkeit der Räumlichkeiten dort. »Zwölf Zimmers«, sagte er. »Zwölf Zimmers, und ich so allein dort.« Und irgendwann kam der Tag, an dem er sie in seinem eigenwilligen Englisch fragte, ob sie ihn einmal auf seiner Ranch zum Picknick besuchen wolle. »Aber nicht nur für Picknick«, sagte er, »auch für die Szenerie, wie sagt man, die Anblick von mein Land, und meine, meine Haus, weil ich möchte – ich will – sehen Sie, ich...«
    Sie beugte sich über die Theke, rotfleckig und riesengroß. Ihr Körpergewicht hatte sich im vergangenen Jahr stabilisiert – sie hatte, mit Einundzwanzig, endlich, ihre volle Größe erreicht –, und sie schwebte über ihren Füßen wie einer dieser Zeppeline, deren die Deutschen sich so rühmten. »Ja«, sagte sie, und sie kicherte und nieste dazu, eine große gefleckte Hand vor den Mund gepreßt, »das würde ich gern.«
    Am nächsten Sonntag

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