Schluß mit cool (German Edition)
Bettes, rauchte eine Zigarette nach der anderen und dachte darüber nach, was sein Vater gesagt hatte – über das mit den Tieren, die in der Erde, in Löchern lebten. Sein Vater war ein weiser Mann. Ein vermögender Mann mit Charakter. Aber er lebte nicht in Kalifornien, er war nicht verliebt in Ariadne Siagris und mußte nicht in einer Hütte wohnen, die sogar die Tauben als Schlag verschmäht hätten. Es dauerte eine Weile, doch am Ende kam Baldassare zu dem Schluß, daß er kein Tier war – er war lediglich praktisch veranlagt, das war’s –, und so überraschte er sich selbst nur wenig, als er vom Bett aufstand, den Spaten ergriff und die Ostwand seines Kellers damit in Angriff nahm. Er konnte dort bereits einen Gang sehen, einen breiten, prächtigen Verbindungsgang, schnurgerade wie ein Bleilot und so elegant und zweckmäßig zugleich wie die Bogenkonstruktionen, die seinerzeit im alten Rom so klug genutzt worden waren. Und während die Erde zu Boden fiel und die Schubkarre sie zitternd aufnahm, hatte er die Vision einer Küche und eines Schlafzimmers, das sich nach oben hin zu einem Atrium öffnete, er sah Weinreben und Glyzinen, die sich dem Licht entgegenrankten, Kamelien, Farne und Springkraut, die aus Tontöpfen und Hängekörben wucherten – und, in sechs Meter Tiefe fest im Boden verwurzelt, einen Avocadobaum, so schwer voller Früchte wie der Karren eines Markthändlers.
Der Winter dauerte an. Um diese Jahreszeit gab es wenig Lohnarbeit – die Trauben waren gepflückt und gepreßt, die Reben zurückgeschnitten, die Feigenbäume gestutzt, und die Wintersaat war ausgebracht. Baldassare hatte also jede Menge Zeit. Er war weder untätig – er grub einfach immer weiter – noch mittellos. Da er bescheiden in seinen Bedürfnissen und sparsam in der Lebensführung war, hatte er praktisch alles beiseite gelegt, was ihm im Sommer und im Herbst an Lohn geblieben war; er hatte seine Kleider selbst geflickt, nicht viel mehr als gekochte Eier und Pasta gegessen, auf seinen dreißig Hektar Land Kaninchen und Singvögel in Fallen gefangen und Holz für seinen Ofen gesammelt. Seine einzige Schwäche war der Tabak – und jede Woche ein Hamburgersandwich im Drugstore von Siagris.
Beim Kauen, Kaffeeschlürfen und Rauchen studierte er dort seine künftige Braut mit der Aufmerksamkeit eines Gelehrten, der sein Lieblingsthema untersucht. Er hielt ihr im Geiste kleine Ansprachen, machte lässige Bemerkungen, die er sich immer wieder heimlich vorsagte, bis er sie perfekt beherrschte – jedenfalls glaubte er das. So saß er gemütlich bei seiner Tasse Kaffee, nachdem er mit dem angefeuchteten Zeigefinger endlos lange die Krümel vom Teller getupft hatte, und wartete, bis sie irgendwann mit einem Glas oder einem Lappen in der Hand in seine Nähe kam, um dann mit Sachen herauszuplatzen wie: »Man sollte meinen, das Wetter tut endlich umschlagen, ist das nicht so?« Oder: »Dies ist das bestmeiste Hamburgersandwich, wo ich mein Mund je im Leben gekostet hat.« Und sie? Sie bleckte dann gern die Pferdezähne zu einem sanften Lächeln, oder sie kicherte, und manchmal nieste sie dabei, wobei sie mit einer Hand Nase und Mund bedeckte, wie es sie die verstorbene Mutter zweifellos gelehrt hatte. Und die ganze Zeit hindurch weidete sich Baldassare an ihrem Anblick. Bisweilen blieb er zwei bis drei Stunden an der Theke des Drugstore sitzen, bis Siagris der Grieche eine gereizte Bemerkung von sich gab, worauf er sich meist verdattert erhob, das Gesicht tief gerötet, und unter vielem Verbeugen und Entschuldigen irgendwie den Weg aus der Tür fand.
Während solcher Momente der sorgfältigen Besichtigung fiel ihm allmählich auch so mancher geringfügige Mangel an seiner künftigen Braut auf. Trotz ihrer Schulbildung zeigte sie zum Beispiel auffallend große Schwierigkeiten beim Herausgeben von Wechselgeld oder beim Ablesen der Speisekarte von der Schiefertafel an der Wand. Außerdem hatte sie zugenommen, sie naschte oft von den Resten der Doughnuts und Pommes frites, die Kunden auf den Tellern zurückließen. War sie etwas füllig gewesen, als Baldassare sie zum erstenmal gesehen hatte, so war sie jetzt weit mehr als das – geradezu korpulent. So korpulent wie Signora Cardino zu Hause in Messina, die angeblich Olivenöl statt Wein trank und zum Frühstück gezuckerte Sahne und Kuchen aß. Und dann waren da ihre Augen – oder vielmehr ihr rechtes Auge. Es schielte leicht, und wie er das an jenem Tag der ersten Verliebtheit
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