Schluß mit cool (German Edition)
waren tot, an einem Eisenbahnübergang zermalmt, sie selbst war neunzehn Jahre alt und hatte noch zwei jüngere Schwestern und drei Brüder, die jetzt alle bei verschiedenen Verwandten lebten. Ariadne. Ariadne Siagris.
Der Regen war unbarmherzig, er sprach und seufzte und brüllte. Baldassare trug jeden Fetzen Kleidung, den er besaß, war in alle Decken gehüllt und kauerte vor seiner Petroleumlampe, und trotzdem fror er, sogar hier in Kalifornien. Es war eine endlose, eine unerträgliche Nacht, aber auch eine Nacht, in der sein Geist frei durch das Universum seines Lebens schweifte, ein Gedanke reihte sich an den nächsten, wie die Ziegel einer Mauer, bis ihm an irgendeinem Punkt, ohne daß er wußte, weshalb, die großen Tunnel einfielen, an denen er in New York und Boston mitgearbeitet hatte – er dachte daran, wie sauber sie gewesen waren, wie warm im Winter und kühl im Sommer, wie sie stets den satten Duft der Erde verströmt hatten. Oben auf den Straßen mochte der Schnee fallen, mochten die Gullys zufrieren, der Wind mochte den Menschen die Augen tränen lassen, doch im Untergrund gab es kein Wetter, überhaupt keins. Er stellte sich das vor, malte es sich aus – die gewaltigen, aus dem Boden gemeißelten Gewölbe der Röhren, die Lokomotive mit den Waggons dahinter, die im Bahnhof unter der Erde standen, und die Passagiere sahen behaglich aus den Fenstern –, und dann schlief er ein.
Am nächsten Morgen begann er von neuem zu graben. Es regnete nicht mehr, und die Sonne warf einen Glanz wie verschüttetes Öl auf seine dreißig Hektar Schlamm und Ortstein. Er sagte sich, er grabe einen Keller – einen ordentlichen Keller für das Haus, das er eines Tages bauen würde, denn er hatte den Plan nicht aufgegeben, noch nicht, nicht Baldassare Forestiere –, aber schon da, schon als er in die Hände spuckte und die Hacke hoch über den Kopf hob, war ihm klar, daß es um mehr ging. Die Hacke flog auf und nieder, der Spaten bohrte sich mit der prüfenden Vertraulichkeit einer Zunge in die Erde, und die Schubkarre ächzte unter einer Fuhre nach der anderen. Baldassare grub. Und er war glücklich, glücklicher, als er je gewesen war seit jenem Tag, als der Zug ihn hergebracht hatte, weil er für sie grub, für Ariadne, und weil er nun einmal zum Graben geboren war.
Dann jedoch war der Keller fertig – ein schöner tiefer, leicht gewölbter Raum, in dem Baldassare nicht nur (in seiner vollen Größe von eins dreiundfünfzig) aufrecht stehen, sondern auch den rechten Arm hoch über den Kopf recken und trotzdem nur gerade die Decke berühren konnte –, und er wußte nicht genau, was er nun tun sollte. Er hätte die Ecken und die Wände mit seinem Spaten begradigen können, bis alles spiegelglatt war, aber das wollte er nicht. Spiegelglatt waren alle Räume gewesen, die er bis dahin bewohnt hatte, und beim Kratzen und Glätten und Ausbügeln wurde ihm klar, daß ihm das eigentlich gar nicht paßte. Nein, sein Keller war ein Gewölbe, war wie die Apsis der Kathedrale, wo er als kleiner Junge die Gottesdienste erlebt hatte, und der Eingang wurde vor den Elementen durch eine lange, breite Rampe geschützt, samt den Ablaufrinnen, die das Regenwasser in ein spiegelndes kleines Becken dicht vor der hölzernen Tür lenkten. Das Dach wurde natürlich vom Ortstein gebildet und war damit undurchdringlich für Sonne und Regen, es war weit beständiger als jede Schindel oder Steinplatte.
Zwei Tage brachte er damit zu, die Wandflächen zu glätten und den Boden zu säubern und zu begradigen, dabei arbeitete er im Licht einer Petroleumlampe, während in den oberen Gefilden der Himmel einen Haufen Wolken zusammenballte, aus deren Mitte die Sonne herabbrannte, bis das nächste Unwetter anrollte, um sie auszulöschen wie eine Kerze. Als der Regen begann, schien es ihm die natürlichste Sache der Welt, seine Kleider, das Bett und die selbstgezimmerten Möbel in den neuen Keller zu tragen, der gemütlich und wasserdicht war. Außerdem, so dachte er sich, während er sich ein paar Regale zurechtbaute und ein Loch in den Ortstein bohrte, um ein Ofenrohr in die umgebende Luft zu schieben, wozu brauchte er überhaupt einen Keller – einen Keller im üblichen Sinne –, wenn er die Zwiebeln, Äpfel, Kartoffeln und Karotten gar nicht anbauen konnte, die darin lagern sollten?
Als der Ofen installiert war und die Feuchtigkeit aus dem Raum vertrieben hatte, lag er eines langen verregneten Nachmittags auf den harten Brettern seines
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