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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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Demütigung in mir hochstieg. Philips Hand lag auf meinem Arm. »Komm schon«, sagte er. »Wir haben was zu arbeiten, kleiner Bruder.«
    Dieser Tag, der erste Tag, war eine echte Prüfung. Ja, ich schlug eine neue Seite in meinem Leben auf, und ja, ich war entschlossen, es zu schaffen, und empfand Dankbarkeit für meinen Bruder und den Richter und die großartige, großzügige, verzeihende Gesellschaft, zu der ich gehörte, aber das hier war mehr, als abgemacht war. Ich gab mich keinen Illusionen über die Arbeit hin – ich wußte, sie würde öde und demütigend sein und das Leben bei Philip und Denise eine echte Schlaftablette, aber ich war es nicht gewöhnt, daß man mich einen Babymörder nannte. Lügner, Dieb, Crack-Spinner – mit solchen Namen war ich bisweilen bedacht worden. Mörder stand auf einem anderen Blatt.
    Mein Bruder war nicht bereit, darüber zu sprechen. Er hatte zu tun. Stand voll unter Strom. Flitzte durch seine Klinik wie ein Turner auf dem Schwebebalken. Gegen neun hatte ich seine beiden Partnerinnen (eine Ärztin und eine Psychologin, beide reichlich unattraktiv), die Frau an der Aufnahme, Schwester Tsing und Schwester Hempfield sowie Fred kennengelernt. Fred war ein großer Kerl von Anfang Dreißig mit Hasenzähnen, einem blaßrötlichen Schnurrbart und Haaren von derselben Farbe, die ihm in alle Richtungen vom Kopf abstanden. Er trug offiziell den Titel eines »Technikers«, allerdings war die am ehesten technisch zu nennende Tätigkeit, bei der ich ihn sah, das Blutabnehmen und die Untersuchung von Urin auf Anzeichen von Schwangerschaft, Tripper oder Schlimmerem. Keiner von ihnen – weder mein Bruder noch die Schwestern, noch die Psychologin, nicht einmal Fred – hatte Lust, darüber zu reden, was vor dem Parkplatz und auf dem Gehsteig draußen los war. Die Zombies mit den Transparenten – ja, Transparente, ich konnte sie vom Fenster aus lesen: »Abtreibung ist Mord« und »Rettet die Ungeborenen« und »Ich adoptiere dein Baby« – waren für sie ebensowenig ein Thema wie Moskitos im Juni oder ein Schnupfen im Dezember. Jedenfalls verhielten sie sich so.
    Ich versuchte, Fred darüber auszufragen, als wir gemeinsam im hinteren Zimmer Mittagspause machten. Wir waren umgeben von düsteren Dingen in Formalingläsern, von Edelstahlbecken, Regalen voller Reagenzgläser, Lehrbüchern und Pappschachteln mit Gratismedikamenten, Einmalspritzen, Mulltupfern und ähnlichem Klinikbedarf. »Was hältst du eigentlich von der Sache, Fred?« fragte ich ihn und wedelte mit dem Schinken-Käse-Vollkornbrötchen, das Denise mir zu nächtlicher Morgenstunde geschmiert hatte, in Richtung des Fensters.
    Fred hockte über einer Zeitung und löste ein kompliziertes Silbenrätsel, wobei er des öfteren mit der Zunge schnalzte. Sein Mittagessen bestand aus einem Chili-Käse-Burrito aus der Mikrowelle und einem Tetrapack Kräuterlimo. Er sah fragend zu mir auf.
    »Diese Demonstranten meine ich. Die Jesusjünger da draußen. Läuft das jeden Tag so ab hier?« Und dann legte ich noch einen kleinen Scherz drauf, nur so, damit er nicht glaubte, ich hätte mich einschüchtern lassen: »Oder hab ich einfach nur das Glück des Anfängers gehabt?«
    »Wer, die da?« Fred machte etwas mit seiner Nase und den Vorderzähnen, eine hasenhafte Geste, als schnupperte er die Luft. »Die sind niemand. Die sind nichts.«
    »Ach so?« gab ich zurück und hoffte auf mehr, hoffte auf Einzelheiten, auf Erklärungen, auf etwas, das die schleichenden Schuld- und Schamgefühle mildern könnte, die den ganzen Vormittag keine Ruhe gegeben hatten. Von diesen Menschen war ich eingeordnet worden, bevor ich auch nur den Fuß über die Schwelle gesetzt hatte, und das tat weh. Denn sie hatten unrecht. Ich war kein Babymörder – ich war nur der kleine Bruder eines großen Bruders und versuchte einen Neuanfang. Und Philip war auch kein Babymörder – er tat nur seine Arbeit, sonst nichts. Scheiße, irgendwer mußte das ja tun. Bis zu diesem Punkt hatte ich über diese Frage wohl nicht allzuviel nachgedacht – meine Freundinnen, wenn es mal welche gab, hatten sich um die Verhütungsfrage immer selbst gekümmert, so daß die Sache kein Thema war –, aber vom Gefühl her fand ich, daß es schon jetzt zu viele Babys auf der Welt gab, und übrigens auch zu viele Erwachsene, zu viele teiggesichtige dumpfbackige Jesusjünger, die immer gern mit dem Finger auf irgendwen zeigten, aber hatten alle diese Typen denn nichts Besseres zu tun? Arbeiten zu

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