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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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ein Stück zurück, die Taschen zu meinen Füßen, und konnte mir nicht helfen: ich mußte ehrlich zu ihm sein. So bin ich nun mal. »Du siehst echt scheiße aus, Philip«, sagte ich. »Du siehst aus wie Dad, kurz bevor er gestorben ist – oder eher wie kurz danach.«
    Eine Frau mit einem glänzenden Planetoiden von Gesicht blieb stehen, um mich kurz zu mustern, dann zog sie ihren Rockbund gerade und zuckelte in ihren Stöckelschuhen weiter. Der Teppichboden roch nach Chemikalien. Draußen vor den dreckbespritzten Fenstern sah ich Schnee, eine Substanz, mit der ich bisher herzlich wenig Erfahrung hatte. »Fang gar nicht erst an, Rick«, sagte Philip. »Ich bin nicht in Stimmung für so was. Glaub mir.«
    Ich schulterte meine Taschen und beugte mich vor, um mir eine Zigarette anzuzünden, nur um ihn zu provozieren. Ich hoffte, er würde mir erzählen, daß es eine behördliche Vorschrift gebe, die das Rauchen in der Öffentlichkeit verbiete, oder daß Rauchen aus ärztlicher Sicht Selbstmord auf Raten sei, aber er tat mir nicht den Gefallen. Er musterte mich nur genervt. »Ich fange nichts an«, sagte ich. »Ich bin nur... ich weiß nicht. Ich mache mir eben Gedanken, sonst nichts. Ich meine, du siehst scheiße aus. Und ich bin dein Bruder. Soll es mir etwa egal sein?«
    Ich dachte schon, jetzt würde er gleich fragen, wieso ich mir eigentlich Sorgen um ihn machte – schließlich war ich es, der ein erzürntes Rechtssystem und unbezahlte Schecks in Höhe von gut zwölftausend Dollar im Nacken hatte, doch er überraschte mich. Er zuckte nur die Achseln, kaute ein wenig auf seinem lippenlosen Lächeln herum und sagte dann: »Vielleicht arbeite ich zuviel.«
    Philip wohnte in der Washtenaw Street in einer Siedlung für Reiche namens Washtenaw Acres: große Einfamilienhäuser, alle ein Stück von der Straße zurückgesetzt und rings um einen See angeordnet, auf dem im Licht des kränklichen Himmels und der noch kränklicheren Sonne dunkles Eis glitzerte. Die Bäume waren nackt und häßlich, wie in den Boden gerammte Stangen, und auch der Schnee war nicht das, was ich erwartet hatte. Irgendwie war ich auf etwas Flauschiges vorbereitet, auf Spielfilmschnee, der die Landschaft mit satten Federkissen polsterte und auf dem fröhliche Kinder mit ihren Schlitten herumflitzten, aber so war es überhaupt nicht. Er pappte auf dem Boden wie Krätze; Erdklumpen und verwelktes Unkraut lagen in schäbigen Flecken dazwischen frei. Trist, das war das richtige Wort, aber dann sagte ich mir, daß es immer noch besser war als die Strafanstalt, weitaus besser, und als wir in die lange geschwungene Einfahrt zu Philips Haus einbogen, sammelte ich meine gesamte Energie für ein optimistisches Gefühl.
    Denise hatte zugenommen. Sie erwartete uns hinter der Tür, die von der Dreiergarage in die Küche führte. Ich kannte sie nicht gut genug, um sie so zu umarmen wie Philip, und ich muß zugeben, daß mich ihre Veränderung richtiggehend schockierte – sie war fett, viel mehr gab es da kaum zu sagen –, also sparte ich das ganze Willkommensgejuchze einfach aus und drückte ihre Hand wie etwas, was ich gerade auf der Straße gefunden hatte. Abgesehen davon schlug mir der Duft des Abendessens voll ins Gesicht, so überwältigend, daß ich fast in die Knie ging. In einer richtigen Küche mit richtigem Essen im Ofen war ich seit meiner Kindheit nicht mehr gewesen, seit damals, als meine Mutter noch lebte, denn nach ihrem Tod, als Philip schon aus dem Haus war, hatten mein Vater und ich oft in irgendeinem Imbiß gegessen, vor allem sonntags.
    »Willst du was essen?« fragte Denise, während wir einen ungelenken kleinen Tanz rund um die blinkende Insel aus Edelstahl und Fliesen mitten in der Küche aufführten. »Du bist doch bestimmt halb verhungert«, sagte sie, »nach deinem Junggesellenleben und dem Flugzeugfraß. Und was ist denn los? Du zitterst ja. Er zittert ja, Philip.«
    Es stimmte, daran gab es nichts zu deuteln.
    »Du kannst doch nicht erwarten, in T-Shirt und Lederjacke den Winter in Michigan zu überleben – in L.A. mag das durchaus angemessen sein, aber nicht hier.« Sie wandte sich an Philip, der die ganze Zeit über dastand, als hätte sich jemand von hinten an ihn rangeschlichen und seine Schuhe am Boden festgenagelt. »Philip, hast du nicht einen Parka für Rick? Zum Beispiel den blauen mit dem roten Futter, den du nicht mehr anziehst. Und Handschuhe, um Himmels willen. Bring ihm auch ein Paar Handschuhe, ja?« Dann sah sie

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