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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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wüßte.«
    Sie musterte mich mit rätselhaftem Lächeln. »Ich hatte an Teresa Golub gedacht oder vielleicht Irving Thalamus?« Es war ein Witz. Ein, zwei der literarischen Hirnis weiter hinten prusteten und kicherten nervös, und ich überlegte nicht zum erstenmal, ob ich wirklich für das Leben an der Uni geschaffen war. Von dieser Frage ausgehend, dachte ich über die diversen Karrieren nach, die mir als College-Abbrecher offenstanden – Rockmusiker, Aufsichtsratsvorsitzender, Centerspieler bei den New York Knicks –, deshalb verpaßte ich die nächsten Namen und kehrte erst auf den Planeten zurück, als der Name Victoria Roethke auf den Raum niederging und in der Luft hing wie der Nachhall einer Detonation in der oberen Erdatmosphäre.
    Sie saß zwei Reihen vor mir, und ich sah von ihr nichts als ihr Haar, das sich als medusenhaftes Tentakelgewirr von Halbdreadlocks um alles innerhalb eines Radius von einem Meter schlang. Das Haar war rot – rot wie in Rosarot, nicht dieser Karottenton –, und es wurde zu den Spitzen hin dunkler, aber am Ansatz hatte es die Farbe von dem Zeugs, mit dem man Osterkörbchen auspolstert. Sie sagte weder »Hier« noch »Anwesend«, noch »Ja«, sie nickte nicht einmal mit diesem erstaunlichen Kopf. Sie räusperte sich nur und verkündete: »Er war mein Großvater.«
    Nach der Stunde sprach ich sie auf dem Gang an und sah, daß sie alles hatte, was so dazugehört, plus einen Nasenring und zwei Augen in der Farbe dieser grauen Pappkartonversteifer, die man beim Kauf eines Oberhemds als Trostpreis dazukriegt. »Bist du wirklich...?« fing ich an und dachte mir, wir hätten eine Menge Gemeinsamkeiten, wir könnten ruhig unser Elend teilen, unseren Kummer zu zweit ertränken, miteinander ins Bett gehen, alles mögliche, doch ehe ich meine Frage zu Ende brachte, sagte sie: »Nein, eigentlich nicht.«
    »Du meinst, du hast sie...«
    »Stimmt genau.«
    Ich betrachtete sie mit nackter Bewunderung. Und sie sah mich an, verschlagen und gelassen, sah mir direkt in die Augen. »Aber hast du keine Angst, daß du auf Professor Sowiesos persönlicher Mordliste stehst, wenn sie das rausfindet?« fragte ich schließlich.
    Victoria sah mich immer noch unverwandt an. Sie spielte mit ihrem Haar, faßte sich an den Nasenring und zog mit einer nervösen, flatternden Bewegung kurz daran. Ihre Fingernägel waren, wie ich jetzt sah, schwarz lackiert. »Wer soll’s ihr schon sagen?« fragte sie.
    Wir waren Komplizen. Unversehens. Einen halben Pausentakt später fragte sie mich, ob ich ihr nicht in der Mensa einen Teller chinesische Nudeln spendieren wollte, und ich sagte »Ja, sicher«, als hätte ich überhaupt irgendeine Wahl.
    Wir rannten durch die toten Krusten des Schnees, bei steifem Wind und Temperaturen, die während der letzten zwei Wochen nie über minus zwanzig gestiegen waren, und mit uns rannten eine Menge Leute, eine ganze donnernde Herde – hier oben bei uns rannte jeder; das war eine Frage des Überlebens.
    In der Mensa schüttelte sie ihr Haar aus, und auch fünf Minuten nachdem wir einen Tisch in der Ecke gefunden und uns heißes Wasser in die Styroporbehälter mit dehydrierter Zaubernahrung gegossen hatten, konnte ich immer noch die Kälte spüren, die darin eingefangen war. Außerdem roch ich die vielschichtig vermischten Düfte des Speisesaals, die jeder Uni-Mensa überall auf der Welt gemein sein dürften: Kaffee, länger getragene Unterwäsche, Tomatencremesuppe. Und wenn sie den Laden in Plastik einwickelten und wie ein Grab versiegelten, es würde da auch in zweitausend Jahren noch so riechen. In der Küche war ich noch nie gewesen, aber ich erinnerte mich an die in meiner Grundschule mit ihren riesigen Aluminiumtöpfen, Mikrowellenherden und alledem, und ich stellte mir das Geschehen hinter der Wand vor, samt den Mensaköchinnen mit ihren rüpelhaften Ehemännern, kläglichen Kleinstadtleben und gefärbten Haaren, die dort große Kessel mit Tomatencremesuppe zusammenbrauten. Victorias Nase war von der Kälte noch weiß, aber genau dort, wo der Nasenring sie durchbohrte, über der Flanke des linken Nasenlochs, prangte ein Stückchen Haut, so rosa wie ihr Haaransatz.
    »Wie ist das eigentlich, wenn du eine Erkältung hast?« fragte ich. »Also, das hab ich mich schon immer gefragt.«
    Sie blies auf ihre Nudeln und sah kurz auf, um mir einen Blick ihrer kartonfarbenen Augen zuzuwerfen. Ihr Mund war klein, die Zähne hatten die Größe von Zuckermaiskörnchen. Wenn sie lächelte,

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