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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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der großen Berühmtheit, und das Beste war ja, daß ich wahrscheinlich gar nicht mitbekommen hätte, wie berühmt er war, wenn er nicht seine Sachen gepackt und uns verlassen hätte.
    Er war mein Vater. Ein dürrer Kerl von Ende Vierzig mit komischem Kräuselhaar und einem Ziegenbärtchen, und er zog sich an, als wäre er noch fünfundzwanzig, pflegte eine morbid-schwarze, zynische Sicht des Lebens und verdrehte einem alles zu der Sorte Witz, an der man innerlich würgen mußte. Ich war stolz auf ihn. Ich liebte ihn. Aber dann merkte ich auch, was für ein Monsteregoist er war – als ob irgendwer heute noch zwei Fürze auf die Literatur gäbe, als wäre er der Mittelpunkt der Welt, wo sich die wahre Welt doch auf den Straßen, im Internet, im Fernsehen und im Kino abspielte. Wer zum Teufel gab ihm das Recht, mich zu verstoßen?
    Also: Victoria Roethke.
    Ich sagte ihr, daß ich noch nie jemanden am Nasenring geleckt hatte, und sie fragte mich, ob ich in ihre Wohnung mitgehen wollte, um Musik zu hören und miteinander zu vögeln, und obwohl ich mich wie ein Stück Scheiße fühlte, wie der Sohn meines Vaters, wie das Negativabbild von etwas, das ich nicht sein wollte, ging ich mit. O ja: ich ging mit.
    Sie wohnte in einem häßlichen, beengten, zugigen und uralten Wrack von Haus aus der Holzofenzeit, etwa fünf Blocks vom Campus entfernt. Natürlich rannten wir den gesamten Weg – ansonsten wären wir auf dem Straßenpflaster festgefroren –, und die gemeinsame Anstrengung, das Pfeifen unserer Lungen und das Brennen in den Nasenlöchern, all das half uns über jede mögliche Verlegenheit hinweg, die hätte entstehen können. Wir standen einen Moment lang in dem überhitzten Eingangsflur, der eine Reihe glanzloser Messinggarderobenhaken, einen schummrigen Gang mit mehreren schmutzigweiß lackierten Türen und den Gestank nach Katzenpisse und alten Kleidern bot. Ich folgte ihrem Haar eine schmale Treppe hinauf in ein Einzimmerapartment, nicht viel größer als eine Gefängniszelle. Es wurde beherrscht von einer riesigen Matratze auf dem Fußboden und zwei Lautsprechern, die groß genug waren, um als Tische zu dienen, was sie auch taten. Bücherregale aus Ziegelsteinen und Holzbrettern säumten die Wände und schienen sie nach innen zu ziehen wie in einem dieser schrumpfenden Zimmer aus Science-fiction-Filmen, diverse Poster verdeckten eine verblichene Tapete aus dem 19. Jahrhundert, und es gab ein grünlich schimmerndes Aquarium, in dessen Mitte einsam ein blasser aufgedunsener Fisch schwebte wie ein Mobile. Durch das einzige Fenster blickte man auf die tote Welt hinaus. Zum Klo ging’s den Korridor runter.
    Und wie roch ihr Zimmer? Wie die Höhle eines Tiers, wie ein Bau oder ein Bienenstock. Und sehr weiblich. Intensiv weiblich. Ich betrachtete den Haufen aus BH s, Unterhosen, Bodystockings und Wollsocken in der Ecke, während sie ein Räucherstäbchen entzündete, die Vorhänge zuzog und die CD einer Gruppe auflegte, die ich hier nicht nennen möchte, die mir aber gut gefällt – also kein Problem mit ihrem Musikgeschmack und so. Jedenfalls dachte ich das.
    Sie richtete sich vom CD -Spieler wieder auf, drehte sich im Dämmerlicht der Vorhänge zu mir um und fragte: »Gefällt dir die Band?«
    Wir standen einander mitten im extrem privaten Durcheinander ihres Zimmers wie Fremde gegenüber, schüchtern und unsicher. Ich kannte sie nicht. War noch nie in diesem Zimmer gewesen. Und ich mußte ihr vorkommen wie ein seltsames Gewächs, das unverhofft am Rande ihres ganz persönlichen Raumes entsprungen war. »Klar«, sagte ich, »die sind stark«, und wollte diese Einschätzung gerade noch mit ein wenig technischem Lob untermauern, um ihr zu zeigen, wie hip und informiert ich war, da stieß sie einen Seufzer aus und ließ die Arme sinken. »Ich weiß nicht recht«, sagte sie. »Ich höre ja lieber Soul und Gospel – besonders Gospel. Das hier habe ich extra für dich aufgelegt.«
    Mit einemmal fühlte ich mich entlarvt, uncool und gar nicht hip. Da stand sie vor mir, der Räucherstäbchenduft süß in der Luft, ihr Haar eine Welt für sich, und sie war ein Fan meines Vaters – so spielte mein berühmter, selbstbezogener Dreckskerl von durchgebranntem Vater tatsächlich den Zuhälter für mich –, und ich wußte nichts zu sagen. Nach einer peinlichen Pause, in der die vertraute Rockgruppe die vertrauten Akkorde drosch und ihren abgenutzten Weltschmerz hinausheulte, sagte ich: »Na, dann hören wir doch mal was von

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