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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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einem Schatten zu ringen, doch nein, das war ein lebendiges Wesen, ein Mann, ein kleiner dunkler Mann in Pennerklamotten, der mit beiden Händen eine Schaufel festhielt, und Sean kämpfte mit ihm darum. Wo war die Pistole? Da war keine Pistole. Beide, Sean und der Mann, hielten diese Schaufel gepackt, und jetzt brüllte Jessica von neuem los. »Die Pistole«, rief Sean. »Im Gras. Nimm die Pistole!«
    In diesem Augenblick gelang es dem anderen Mann, die Schaufel an sich zu reißen, und im nächsten – es geschah so rasch, daß sie gar nicht ganz sicher war, es wirklich zu sehen – erwischte er Sean mit dem Griff unter dem Kinn, dann noch einmal mit dem Schaufelblatt, und Sean ging zu Boden. Sie zögerte keine Sekunde. Ehe der Angreifer die Schaufel niedersausen lassen konnte – und das hatte er vor, kein Zweifel, seine Arme hoben sich bereits hoch in die Luft für einen mörderischen, wuchtigen Hieb –, packte sie mit aller Kraft von hinten den Griff und zog ihn eng an ihre Brust.
    Sie konnte ihn riechen. Sie konnte ihn fühlen. Er hielt fest, der kleine Kerl, der Penner, es war derselbe, der am Nachmittag mit stinkendem Atem und in speckigen Kleidern an ihrer Tür geklingelt hatte, und dann riß er so heftig an der Schaufel, daß sie beinahe kopfüber hinterherflog, gegen seinen Körper und dann in das feuchte Gras. Doch sie fiel nicht. Sie riß ebenfalls, und Jessica schrie auf, und Sean schwankte wie ein Betrunkener, erhob sich aber langsam vom Rasen, und kurz bevor der Mann die Schaufel losließ und in die Dunkelheit der anderen Straßenseite davonstürzte, starrte sie ihm für einen Moment voll ins Gesicht – ja, aber da sah sie nicht den Mörder aus dem Fernsehen oder den Mann vor der Tür oder irgendeinen Kerl aus der Armee der Penner, die in ihren Allzweckhemden und schweißbefleckten Kappen die Straße säumten – nein, sie sah Dr. Toni Brinsley-Schneider, die Bioethikerin, niemanden sonst.
    Es waren zwei Polizisten. Von dort, wo sie am Ende der Couch saß, konnte sie den am Bordstein angehalfterten Streifenwagen sehen, dessen Inneres pechschwarz dalag, auf dem Dach das langsam rotierende rote Licht, das die Nacht wieder und wieder zerhackte. Sie waren gebaut wie Läufer oder Squashprofis, alle beide – zackige, tüchtige Männer von Mitte Dreißig, die von Melanies nackten Beinen und Füßen weg und ihr in die Augen sahen. »Sie haben also Schreie gehört, und das war etwa wann?«
    Die Aussage von Jessica Irgendwie hatten sie bereits aufgenommen – Jessica Fortgang, und nun hatte sie also einen Namen: Ms. Fortgang, wie sie die Polizisten bezeichneten –, und auch Sean, der mit einer bösen roten Schramme am Kinn in einem Sessel kauerte, hatte ihnen seine Sicht der Dinge dargelegt. Der Mann in der Nacht, der Penner, der das Chaos verursacht hatte, war entkommen, einstweilen jedenfalls, und sie alle mußten auf die Genugtuung verzichten, ihn gebeugt und zerknirscht in Handschellen auf dem Rücksitz des Streifenwagens zu sehen. Sean war ziemlich durcheinander gewesen, als die Polizei eintraf, hatte die Zähne aufeinandergebissen, als wäre ihm ein harter Brocken untergekommen, und mit geballter Faust und weit ausgreifenden Armen gestikuliert – »Der Eisenbahnmörder, er war es, der Eisenbahnmörder«, hatte er ständig wiederholt, bis der Polizist mit dem Schnurrbart, der größere der beiden, ihm mitteilte, der Eisenbahnmörder habe sich vor etwa fünfzehn Stunden an der mexikanischen Grenze den Behörden gestellt. »Und zwar an der Grenze zu Texas«, fügte er hinzu, und dann sagte sein Partner knapp und professionell, daß sie diesen Fall so oder so als tätlichen Angriff behandelten, möglicherweise auch als Vergewaltigungsversuch. »Ihre Nachbarin, Ms. Fortgang, dürfte diese Person heute nachmittag für etwas Gartenarbeit beschäftigt haben, und als er fertig war, hat sie ihn auf einen Eistee und ein Sandwich hereingebeten. Deshalb kehrte er wohl am Abend zurück – ein kulturelles Mißverständnis, wissen Sie: wenn einer dieser Burschen von einer Frau zweimal angeguckt wird, erwartet er sich gleich eine Menge mehr. Er ist ein Landstreicher, nichts weiter, niemand aus der Gegend. Aber wir werden ihn kriegen.«
    Melanie beantwortete geduldig ihre Fragen, obwohl ihr das Herz immer noch in der Brust raste und sie immer wieder zu Sean hinübersah, wie um Rat zu erfragen. Doch Sean war verdrossen und unzugänglich, in eine Ecke seines Inneren zurückgezogen – die Pistole war nichts als peinlich,

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