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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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der Mann hatte ihn niedergeschlagen, er war in ein gewöhnliches Handgemenge mit einem gewöhnlichen Penner verstrickt gewesen, und der Eisenbahnmörder hatte sich längst gestellt. Sie sah die Furchen in seinem Gesicht, sah, wie er in seiner typischen Art Unterlippe und Kinn nach unten preßte. Die Theorie konnte ihm hier nicht helfen. Die Theorie dekonstruierte, die Theorie besaß keine Absicht, keinen Sinn, bot weder Überblick noch Trost – sie war gewissermaßen intellektuelle Onanie. Falls sie das nicht schon gewußt hatte, so wußte sie es jetzt.
    Die Polizisten dankten ihnen, setzten ein flüchtiges Lächeln auf, dann brachte Sean sie zur Tür, und Melanie erhob sich mit dem vagen Vorsatz von der Couch, sich eine Tasse Kräutertee zu brühen, um wieder ruhig zu werden. Die Tür war kaum geschlossen, da rief sie schon laut Seans Namen, und beinahe hätte sie es gesagt, beinahe hätte sie gesagt: »Sean, ich möchte dir etwas erzählen«, doch das hatte jetzt keinen Sinn mehr.
    Sean drehte sich an der Tür um, mit eingefallenen Schultern und heruntergezogenen Mundwinkeln. Nach dem Gerangel auf dem Rasen hatte er sich rasch eine Jeans und das erstbeste Hemd übergestreift – bunter Hawaiidruck, mit fröhlichen Palmwedeln und Miniaturananasfrüchten –, und sie sah, daß er es verkehrt zugeknöpft hatte. Er wirkte hoffnungslos. Er wirkte in seinem eigenen Wohnzimmer verloren.
    Sie behielt dieses Bild von ihm im Kopf, und dann mußte sie unerklärlicherweise an eine andere Gefangene der Sioux denken: eine junge Frau, die ihrem Mann weggenommen worden war, um die Braut eines Häuptlings zu werden, eine grausame Aktion im Rauch und Chaos einer verzweifelten Kampfhandlung, ihre Tochter brüllte laut auf in der Kakophonie von Schreien und Flüchen und dem rollenden Donner von hundert gleichzeitig abgefeuerten Gewehren. Monate später, als die Frau mit ihren neuen Herren nach einer verlorenen Schlacht floh, sah sie einen Krieger des gegnerischen Stammes in voller Montur auf seinem Pony auf sie zureiten, den Schal hinter sich herziehend, den sie für ihre Tochter gestrickt hatte, und daran angebunden ein winziger Skalp, an dem noch das Haar – das glänzendblonde Haar – haftete.

Achates McNeil
    Mein Vater ist Schriftsteller. Ein ziemlich bekannter noch dazu. Sie kennen den Namen bestimmt, ich müßte ihn nur sagen, aber ich sage ihn nicht, ich habe es satt, ihn zu sagen – jedesmal, wenn ich ihn sage, habe ich das Gefühl zu ersticken, als läge ich tief unten in einer Erdhöhle, und von oben prasseln lauter feine Steinchen auf mich herab. Wir haben ihn sogar in der Schule gelesen, das erstemal in der zehnten Klasse, eine Kurzgeschichte von ihm in einer von diesen Gesamtanthologien, die einem das Handgelenk verrenken und eine Bandscheibe herausrutschen lassen, wenn man sie nur vom Tisch hochzuheben versucht, und dann noch mal jetzt gerade vor kurzem, in meinem ersten College-Jahr. Ich hatte im zweiten Semester einen Kurs über zeitgenössische AmLit belegt, und da standen zwei von seinen Büchern auf dem Programm, zusammen mit einer Drei-Seiten-Liste von Romanen und Erzählbänden seiner Altersgenossen, und auch von denen kannte ich ein paar – oder hatte sie jedenfalls mal bei uns zu Hause gesehen. Ich hielt allerdings schön meinen Mund, besonders nachdem die Dozentin, eine blonde Dichterin von Mitte Dreißig, die mal eine Geschichte über eine nymphomanische Konditorin veröffentlicht hatte, gleich am ersten Tag einen Witz über meinen Namen riß, als sie ihn auf der Teilnehmerliste entdeckte.
    »Achates McNeil«, rief sie mich auf.
    »Hier«, sagte ich und fühlte, wie es mich heiß und kalt durchlief, als wäre ich aus der Sauna in eine Schneewächte und wieder zurück gegangen. Ich wußte, was jetzt kam; ich hatte es schon öfter erlebt.
    Sie hielt inne, sah von ihrer Liste auf, um durch das Fenster auf die eisige Ödnis des Campus im eisigen Oberland von New York State hinauszustarren, dann wandte sie sich wieder an mich und fixierte mich eine Zeitlang. »Sie sind wohl nicht zufällig mit einem der Autoren auf unserer Leseliste verwandt, oder doch?«
    Ich hockte verkrampft auf dem harten Holzsitz und dachte an die gesichtslosen Legionen, die vor mir dort gesessen hatten, sich mit schriftlichen Tests und gefühlskalten Bemerkungen ihrer Professoren abgequält hatten und inzwischen alle Schönheitschirurgen, Tankwarte, Versicherungsvertreter, Penner oder tot waren. »Nein«, sagte ich. »Nicht daß ich

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