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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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Richter die Anklage verlas und ihre Mutter den Kopf senkte, um in die Schüssel ihrer Handflächen zu schluchzen. Und Jeremy beobachtete sie auch, sein Blick verschränkte sich mit ihrem, als wollte er ihnen allen trotzen, als wäre nichts auf der Welt wichtig außer ihr, und als der Richter die Worte vorsätzlicher Mord und Mord durch schuldhaftes Unterlassen aussprach, zuckte er mit keiner Wimper.
    Sie ließ ihm einen Zettel zukommen – »Ich liebe Dich, ich werde Dich immer lieben, egal, was passiert, Mehr als der Mond« –, und im Korridor, nach der Verhandlung, während ihre Anwälte die Reporter abwehrten und die Justizbeamten ungeduldig an ihnen zupften, hatten sie eine Minute Zeit miteinander, nur eine Minute. »Was hast du ihnen erzählt?« flüsterte er. Seine Stimme war gepreßt, fast ein Knurren; sie sah ihn an, nur Zentimeter trennten sie, und erkannte ihn kaum wieder.
    »Ich habe gesagt, daß es tot war.«
    »Meine Rechtsanwältin – Mrs. Teagues –, die meinte, sie behaupten, daß es noch gelebt hat, als wir, als wir es in die Tüte getan haben.« Seine Miene war gefaßt, doch die Augen zuckten umher wie Insekten, die in seinem Kopf in der Falle saßen.
    »Es war tot.«
    »Es sah tot aus«, sagte er und entfernte sich bereits von ihr, und irgendein gefühlloser Sack mit einem Fotoapparat brannte ihnen ein Blitzlicht nach dem anderen auf, »und wir haben ja auch nicht – ich meine, wir haben ihm keinen Klaps versetzt oder so, damit es atmet...«
    Und dann kam das letzte, was er zu ihr sagte, als man sie wieder auseinanderzerrte, und davon wollte sie nichts hören, und es lag auch keine Liebe darin, nicht einmal ein Schimmer von Liebe: »Du hast gesagt, ich soll es irgendwie loswerden.«
    Es gab keinen speziellen Namen für den Ort, an dem sie ihn einsperrten. Es war bekannt als das Drum-Hill-Gefängnis, Punkt, fertig. Hier kannte man keine modernen Reformansätze, keine verbalen Gesten in Richtung Rehabilitation oder Verhaltensänderung, keine Wohltäter, Bürgermeister oder Vorbildfiguren, die die Haftanstalt mit ihrem Nachnamen zierten, denn welcher Mensch, der halbwegs bei Sinnen war, wollte schon ein Gefängnis nach sich benannt wissen? Wenigstens hielten sie ihn getrennt von den übrigen Häftlingen, den Gangmitgliedern und Drogendealern und Lustmördern und so weiter. Er war kein Student der Brown University mehr, nicht offiziell, aber er hatte seine Bücher und seine Notizen dabei und bemühte sich, so gut wie möglich mit dem Lehrstoff mitzuhalten. Trotzdem – wenn des Nachts die Schreie durch den Zellenblock hallten und der feuchte Atem von achteinhalbtausend hoffnungslos zornigen Soziopathen an den Wänden heruntertroff, dann mußte er sich eingestehen, daß er auf diese Art von Studium eigentlich nicht vorbereitet war.
    Und was hatte er getan, daß er das verdiente? Er begriff es immer noch nicht. Das da in dem Müllcontainer – und er weigerte sich, es als menschlich anzusehen, geschweige denn als Baby – ging niemanden an außer ihn selbst und China. Das hatte er zu seiner Anwältin gesagt, zu Mrs. Teagues, und auch zu seiner Mutter und deren Partner Howard, er hatte es ihnen immer wieder gesagt: Ich habe nichts Böses getan . Selbst wenn es noch gelebt hatte, und das hatte es, tief im Herzen wußte er das, auch bevor der Staatsanwalt die Indizien für einen Aufprall aus größerer Höhe und den Tod durch Ersticken und Kälteeinwirkung vorlegte, war das egal oder hätte es jedenfalls sein sollen. Es gab kein Baby. Es gab nur einen großen Irrtum, einen mit Blut und Schleim verschmierten Irrtum. Wenn er ehrlich darüber nachdachte, wenn er die Sache gründlich erwog und sich mit dem gefühlsduseligen Argument seiner Mutter näher befaßte, wo er wohl heute wäre, hätte sie genauso wie er empfunden, als sie damals schwanger war, wurde er hart wie ein Stein, wie Sand, der sich in Stein verwandelte unter dem gewaltigen Druck des Planeten. Noch ein ungewolltes Kind in dieser überbevölkerten Welt? Eine Medaille sollten sie ihm verleihen.
    Erst Ende Januar wurde die Kaution festgelegt – dreihundertfünfzigtausend Dollar, die seine Mutter nicht hatte –, und man entließ ihn in den häuslichen Arrest. Er trug ein Plastikband am Fußknöchel, das einen Alarm ausgelöst hätte, wenn er zur Tür hinausging, und China hatte auch so eins, war im Haus ihrer Eltern eingesperrt wie eine Märchenprinzessin. Anfangs hatte sie ihn jeden Tag angerufen, dabei aber fast immer nur geweint – »Ich

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