Schluß mit cool (German Edition)
an der Tür des Motelzimmers auf sie, das Licht hinter ihm ein bleicher Schemen aus nichts, kein Lächeln lag auf seinem Gesicht, überhaupt kein menschlicher Ausdruck. Sie küßten sich nicht – berührten einander nicht einmal –, und dann flog sie auf das Bett, lag auf dem Rücken, das Gesicht wie eine Faust geballt. Sie hörte das Scheppern des Eisregens am Fenster, das Brabbeln des Fernsehers. So kann ich dich nicht gehen lassen , sagte ein Mann, und sie konnte ihn sich gut vorstellen, kantig und groß, ein Mann mit Hut und Mantel in einer Schwarzweißwelt, die ebensogut ein fremder Planet sein mochte, ich kann es einfach nicht . »Bist du...« Jeremys Stimme mischte sich in das Gemenge und stockte dann. »Bist du bereit? Ich meine, ist es soweit? Kommt es jetzt?«
Darauf sagte sie einen Satz, einen einzigen, und ihre Stimme klang so gepreßt und hohl wie das Heulen des Windes in den Regenrinnen. »Hol es aus mir raus!«
Es dauerte einen Moment, dann spürte sie, wie seine Hände an ihren Joggingsachen hantierten.
Später, Stunden später, als sie nichts als Schmerz erlebt hatte, eine gewaltige Parade des Schmerzes mit lauter Tambourmädchen und Blaskapellen und Büßern, die auf Händen und Knien dahinkrochen, bis die Straßen mit ihrem Blut befleckt waren, schrie sie wieder und wieder: »Das ist wie in Alien «, keuchte sie, »wie dieses Vieh in Alien , wenn es, wenn es...«
»Ist ja gut«, sagte er ihr immer wieder, »ist ja alles gut«, aber sein Gesichtsausdruck verriet ihn. Er wirkte verängstigt, sah aus, als hätte man ihm in einem anderen Film bei irgendeinem bösen Experiment alles Blut herausgesaugt, und ein Teil von ihr wollte ihn dafür bemitleiden, aber ein anderer Teil – derjenige, der so befehlsgewaltig und stark war, daß er alles andere übertrumpfte – war dafür nicht einmal ansatzweise bereit.
Er war unnütz, und er wußte es. Noch nie im Leben hatte er so viel Angst und Schrecken empfunden, dennoch versuchte er, für sie dazusein, versuchte sein Bestes zu geben, und als das Baby herauskam, ein kleines Mädchen, ganz verklebt von Blut und Schleim und klumpigem weißem Glibber, der aussah wie das Zeug am Boden einer Mülltonne, dachte er an seine neunte Klasse und wie knapp er damals vor der Ohnmacht gestanden hatte, als die Lehrerin durch die Klasse gegangen war, um jedem einen Stich in den Zeigefinger zu verpassen, damit sie einen Blutstropfen auf ein Glas unters Mikroskop schieben konnten. Diesmal fiel er nicht in Ohnmacht. Aber er stand dicht davor, so dicht, daß ihm das Zimmer schon unter den Füßen wegrutschte. Und dann ihre Stimme, die ersten klaren Worte, die sie nach einer Stunde sagte: »Werde es los. Werde es nur irgendwie los.«
An die Fahrt zurück nach Binghamton hatte er wenig Erinnerung. Praktisch gar keine. Sie nahmen massenhaft Handtücher aus dem Motel mit und verteilten sie auf ihrem Autositz, das wußte er noch... Und das Blut, wie hatte er das viele Blut vergessen können? Es sickerte durch ihre Joggingsachen und die Handtücher, sogar durch die dicke Baumwollbadematte und in den verschlissenen Stoff des Sitzes. Und all das kam aus ihr heraus, lauter Schleim und Gewebe und diese helle glänzende Flüssigkeit, es hörte gar nicht mehr auf, als hätte man sie von innen nach außen gekehrt. Er hätte sie gern gefragt, ob das überhaupt normal war, aber im selben Moment, als sie aus seinem Arm auf den Beifahrersitz glitt, schlief sie bereits. Wenn er sich konzentrierte, wenn er sich wirklich anstrengte, dann erinnerte er sich noch daran, wie ihr Kopf immer wieder gegen den Türrahmen schlug, während der Motor heulte und der Wagen schaukelte und der Matsch jedesmal eine dunkle Decke über die Windschutzscheibe legte, wenn ein Lastwagen auf der Gegenfahrbahn vorbeiraste. An das und an die Erschöpfung. Noch nie war er so müde gewesen, sein Kopf hing an einem Faden, die Schultern sackten ein, seine Arme waren wie zwei Betonpfeiler. Und wenn er nun einnickte? Wenn ihm der Wagen ausbrach und über eine Böschung geschleudert würde, mitten hinein in die schmutziggraue Ansammlung des schlimmsten Tags seines Lebens? Was dann?
Sie schaffte es aus eigener Kraft ins Studentinnenheim, niemand beachtete sie, und nein, sie brauchte seine Hilfe nicht. »Ruf mich an«, flüsterte sie, und dann küßten sie sich, dabei waren ihre Lippen so kalt, daß der Kuß sich anfühlte wie ein Steak in der Plastikfolie, und danach parkte er ihren Wagen auf dem Studentenparkplatz und
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