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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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will es sehen«, schluchzte sie. »Ich will das Grab unserer Tochter sehen.« Davon erstarrte er innerlich. Er versuchte sie sich vorzustellen – sie, China, die Liebe seines Lebens –, und es ging nicht. Wie sah sie aus? Wie war ihr Gesicht, ihre Nase, ihr Haar, wie waren die Augen und Brüste und der Schlitz zwischen ihren Beinen? Er bekam kein Bild. Es gelang ihm einfach nicht, sie sich vorzustellen, so wie sie früher einmal oder auch nur damals im Gerichtssaal ausgesehen hatte, weil er sich immer nur an das erinnern konnte, was aus ihr herausgerutscht war, vier Gliedmaßen und die Organe eines Mädchens, angezogene Schultern, die Augen fest geschlossen, wie eine Mumie im Grab... Und dann der Atemzug, das zitternde Rasseln eines tiefen Atemzugs, den er in ihrem Körper pfeifen hörte, gerade als sich die schwarze Mülltüte über ihrem Gesicht schloß und der Deckel des Containers aufging wie ein Maul.
    Er war in seinem Zimmer und sah sich ein Basketballspiel an, in der Hand einen Drink (7-Up gemischt mit Jack Daniel’s in einem Keramikbecher, damit niemand merkte, daß er sich am Sonntag um zwei Uhr nachmittags einen ansoff), als das Telefon klingelte. Es war Sarah Teagues. »Hör zu, Jeremy«, sagte sie in ihrem klaren, nur recht und billigen Tonfall, »da ist etwas, das du wissen solltest: die Familie Berkowitz hat den Antrag eingereicht, das Verfahren gegen China niederzuschlagen.«
    Seine Mutter schaltete sich mit dem Schnurlosapparat ein, viel zu laut, ein Fauchen ihres verstärkten Atems und statisches Knistern: »Mit welcher Begründung?«
    »Sie hat das Baby nie gesehen, bringt ihr Anwalt vor. Sie sei in dem Glauben gewesen, sie habe eine Fehlgeburt gehabt.«
    »Na klar«, sagte seine Mutter.
    Sarah Teagues sprach ohne lange Pause weiter, ihre Stimme so klar und präsent wie die seiner Mutter: »Es war Jeremy, der es in den Müllcontainer geworfen hat, und sie behaupten, er habe allein gehandelt. So hat sie es vorgestern zu Protokoll gegeben – angeschlossen an einen Lügendetektor.«
    Er spürte sein Herz pochen, so stark wie damals, als er sich mit dem Langlaufteam den letzten, quälend langen Hügel hinter der Schule hinaufgekämpft hatte, die Beine weich, keine Luft mehr in den Lungen. Er sagte kein Wort. Atmete nicht einmal mehr.
    »Sie wird gegen ihn aussagen.«
    Draußen war die Welt, unter der schwachen Nachmittagssonne schmiegten sich Eispfützen in den Rasen, alle Bäume standen kahlgefegt da, das Gras war tot, die Azalee unter dem Fenster nur noch ein Armvoll vertrockneter brauner Zweige. Sie hätte heute sowieso nicht hinausgehen wollen. Es war die Jahreszeit, die sie am wenigsten mochte, der lange Zwischenraum zwischen den Feiertagen und den Frühjahrsferien, in dem nichts wuchs und sich nichts veränderte – nicht einmal schneien wollte es mehr richtig. Was gab es da draußen denn für sie? Sie ließen sie nicht zu Jeremy, sie durfte nicht einmal mehr mit ihm telefonieren oder ihm schreiben, und sie könnte sich auch in keinem Supermarkt, nicht einmal im Kino blicken lassen, ohne daß irgendwer ihren Namen brüllte, als wäre sie eine Mißgeburt oder eine zweite Monica Lewinsky oder Heidi Fleiss. Sie war nicht China Berkowitz, die begabte Studentin, nicht mehr – sie war zur Pointe von blöden Witzen, zu einer Fußnote der Geschichte geworden.
    Aber ein bißchen Herumfahren, das hätte ihr schon Spaß gemacht – das fehlte ihr wirklich, einfach die Kurven zum Stausee hinaufwedeln, wo das Eis das Ufer säumte, oder weiter zur Abzweigung der Route 9, um über den Fluß zu sehen, der dort wie eine glitzernde Schlange durch die Berge glitt. Oder um einen Spaziergang im Wald zu unternehmen, einfach so. Sie war in ihrem Zimmer, lag auf dem Bett, von den Wänden sahen Poster von Rockgruppen herab, für die sie längst zu alt war, ihre Bücher von der Highschool stapelten sich auf zwei Regalen in der Ecke, die Schranktür war aufgeplatzt von den vielen Sachen, die sie früher einmal so dringend haben wollte, daß sie hätte sterben können für jedes einzelne Paar Stiefel oder all die Kaschmirpullis, die sich so kuschelig auf der Haut anfühlten. Unten an ihrem linken Bein, da am Fuß des Bettes, sah sie das Knöchelband, das sie jetzt trug, den Kunststoffriemen mit dem Sender darin – vermutlich nur wenig anders als die Halsbänder, die sie Wölfen umschnallten, um sie über Hunderte von Kilometern öder Tundra verfolgen zu können, oder den Bären, die jetzt in ihren Höhlen schliefen.

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