Schluss mit dem ewigen Aufschieben
Haben Sie jemals gesehen, wie ein Kind laufen lernt? Es fällt x-mal hin und
man kann Ärger, Schmerz und manchmal sogar Verzweiflung an ihm wahrnehmen. Aber es steht immer wieder auf und versucht es
erneut, trotz aller negativen Gefühle. Das Kind, das laufen lernt, hat dadurch, dass es sich aufrichtet, gänzlich neue Möglichkeiten:
Es kann Dinge sehen und an sie herankommen, die ihm vorher nicht zugänglich waren. Es übt sich in einer neuen Form der Körperbeherrschung.
Die Momente des Gelingens lösen ein Hochgefühl aus, das zwar durch das Hinfallen unterbrochen, nicht aber völlig aus der Erinnerung
gelöscht wird. Es wieder zu versuchen, mit der Option, es erneut schaffen zu können, vielleicht etwas länger und mit Glück
noch etwas weiter zu kommen als beim Mal davor, bildet eine starke Motivation, die auch vorübergehendes Scheitern ertragen
lässt. Das Kind hat eine recht hohe angeborene Toleranz gegenüber der Frustration des Hinfallens. Auch Sie haben sich damals
durch Schmerzen nicht abhalten lassen.
Warum schiebt das Kind sein Vorhaben nicht auf? Vermutlich deswegen, weil sein Gehirn um das Ende des ersten Lebensjahres
herum, wenn das Laufen lernen ansteht, zu bestimmten Operationen noch nicht fähig ist. Insbesondere sieht sich das Kind nicht
mit den Augen der anderen, von außen: Es sieht sich nicht fallen und schämt sich nicht vor den anderen, geschweige denn vor
sich selbst. Es hat auch noch nicht die perfektionistische Einstellung, nichts lernen, aber alles bereits können zu müssen
und kann noch nicht einschätzen, wie hart
zu
hart ist.
Too much!
Anders hingegen verhält es sich bei jugendlichen oder erwachsenen Aufschiebern. Wenn Sie ein Problem haben mit dem Ertragen
unvermeidlicher Frustration beim Üben, wenn es Ihnen schwer fällt, immer wieder bei null anzufangen, dann deswegen, weil Ihr
nun entwickeltes |78| Gehirn die Ereignisse nicht mehr nur registriert, sondern bewertet. Wer aufschiebt, bewertet Frustrationen mit der Schlussfolgerung:
Das ist mehr, als ich ertragen kann! Andererseits wissen wir aus all den Belastungen des Lebens, aus den Erfahrungen von Krankheit
oder im Extrem von Folteropfern, dass die prinzipielle Fähigkeit der Menschen, Leid zu ertragen, unbegrenzt groß ist. Es liegt
an Ihnen! Sobald Sie definieren, dass Sie ein bestimmtes Maß an negativen Gefühlen nicht ertragen können, programmieren Sie
sich auf Weggehen und Aufschieben. Auch pauschale Etikettierungen wie »ich fühle mich furchtbar!«, »es ist entsetzlich«, »das
hab ich nicht verdient«, »alles an dieser Sache ist widerlich« und so weiter haben denselben Effekt. Sie dramatisieren und
erklären etwas Unangenehmes zu etwas Unerträglichem. Das Wort »unerträglich« lenkt davon ab, dass Sie bestimmte unangenehme
Gefühle nicht ertragen wollen. Es impliziert stattdessen: Niemand kann so unangenehme Gefühle ertragen, als sei das ein Gesetz
des Universums. Die Unerträglichkeit ist aber eine Definition, die Sie vornehmen, nicht eine Eigenschaft der Situation, der
Aufgabe oder der Gefühle.
Der Unterschied ist erheblich. Er liegt auf derselben Ebene wie die berühmte Übersteigerung einer Kritik (»Dein Verhalten
passt mir nicht!«) zu einem verwirrenden paradoxen Sonderfall der Natur (»Du bist unmöglich!«). Unmöglich heißt: Kann gar
nicht vorkommen. Das Verhalten, das Anlass zur Kritik gegeben hat, ist aber vorgekommen, war also offenkundig möglich. Solange
Sie beim »Das passt mir nicht!« bleiben, existiert ein Konflikt, der ausgetragen werden kann. Sobald Sie zum »Ist doch unmöglich!«
übergehen, konstruieren Sie eine andere Wirklichkeit, in der es keinen Sinn macht, sich mit »un möglichen « Menschen, die nicht vorkommen dürften, auseinander zu setzen. Und »unerträgliche« Gefühle ertragen zu wollen, scheint ebenso
wenig Sinn zu ergeben.
Wenn Sie das Aufschieben beenden wollen, werden Sie diese Tendenz, das Unangenehme zu etwas Unerträglichem umzudeuten, überwinden
müssen. Falls Sie sich einem bereits aufgeschobenen Vorhaben erneut nähern, werden Sie eher mehr als weniger Unlust bemerken,
Ihre Stimmung ändert sich, etwas im Bauch krampft sich zusammen. Sie schließen daraus zu Recht, dass Sie keine Lust haben,
den schon lange fälligen Anruf zu tätigen, die Akten zu bearbeiten, Ihr Zimmer aufzuräumen und so weiter. Deswegen haben Sie
beim letzten Mal diese Aktivitäten ja aufgeschoben. Nun zeigt sich: Nur
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