Schlussakt
beleidigt. Für Frau von Wonnegut war Ihre Annette ein Nichts, eine
Unberührbare, ein Flittchen. So hat sie es mir selbst gesagt.«
»Na und? Wenn Sie jemanden erpressen wollen, muss derjenige
erpressbar sein. Und der Förderverein ist es nicht.«
»Das wäre zu überprüfen. Wenn sich Annette so wie ich mit
Dagmar Schulz unterhalten hat, muss sie zu der Ansicht gekommen sein, man könne
Frau von Wonnegut unter Druck setzen. Und wenn die wiederum befürchtet, dass
ihr Lebenswerk durch Gerüchte gefährdet ist, haben wir den Salat. ›Dich mach
ich fertig‹, sagt Annette Nierzwa zu Elke von Wonnegut. Die Alte denkt an ihren
Verein, an den Ring 2012 und bekommt Panik.«
Nagel lachte schrill auf. Marc schüttelte den Kopf.
»Das Ehepaar von Wonnegut«, fuhr ich fort, »sitzt bei
Aufführungen gerne in einer Loge im ersten Rang. Dort saßen die beiden
garantiert auch bei der Figaro -Premiere, und zwar alleine. Kein Problem,
mal kurz zu verschwinden. Das fällt keinem auf. Dem eigenen Mann natürlich,
aber der hat nur seine Käfer im Kopf und würde im Notfall bezeugen, dass Boris
Becker und Steffi Graf auf der Bühne im Duett gesungen haben.«
»Was soll dieser Quatsch?«, rief Bernd Nagel. »Eine
Räuberpistole ist das! Sie kennen Frau von Wonnegut. Die kann doch keine Frau
umbringen, die halb so alt ist wie sie. Mit bloßen Händen, überlegen Sie mal!«
Zur Verdeutlichung hielt er mir seine eigenen Hände entgegen.
»Musiker haben kräftige Hände. Frau von Wonnegut ist
Hobbypianistin.«
»Trotzdem Quatsch.«
»Das klingt ja so, als wüssten Sie genau, wie viel Kraft es
braucht, um einen Menschen umzubringen.«
Nagel schwieg.
»Ich weiß es jedenfalls nicht«, sagte ich. Meine Flasche war
leer, ich brauchte dringend eine neue. »Keine Ahnung, wie fest man zudrücken
muss, bis ein Mensch stirbt. Egal, man darf die Situation nicht unterschätzen:
wenn einer in Rage ist, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht.«
»Sag du mal was, Marc«, seufzte Nagel und hielt sich die Hand
vor die Augen.
»Max, das klingt wirklich absurd«, sagte Covet. »Frau von
Wonnegut ist ein spezieller Fall, aber keine Mörderin. Schon gar keine
dreifache.«
»Eine dreifache nicht. Darf ich mir noch ein Bier holen?«
Ohne Nagels Antwort abzuwarten, ging ich in die Küche und kam mit einer neuen
Flasche zurück. »Wie kommst du auf die Idee, dass Frau von Wonnegut ihren
Lieblingsmusiker umgelegt hätte? Den verehrten Enoch Barth-Hufelang, ohne den
der Ring in Heidelberg nicht vorstellbar war. Mit ihm hatte sie etwas
ganz anderes vor. Gestern Morgen am Telefon hat sie es mir verraten: Sie wollte
ihn als Erben einsetzen.«
»Was?«, riefen die zwei wie aus einem Munde. Covet verschüttete
sogar etwas Bier.
»Ja, da staunt ihr. Man kann über die Alte sagen, was man
will, aber in diesem Punkt handelt sie konsequent. Musik braucht Mäzene, über
die eigene Lebenszeit hinaus. Und nun haltet euch fest. Wenn ich sie richtig
verstanden habe, hätte das Testament erst noch zu Barth-Hufelangs Gunsten
geändert werden müssen. Solange das nicht der Fall war, hatte jemand ein
starkes Motiv, den Dirigenten aus dem Weg zu räumen.«
»Du denkst an den derzeit Begünstigten«, sagte Covet. »Wer
soll das sein?«
»Ihr Mann«, lachte Nagel und tippte sich an die Stirn.
»Paul von Wonnegut«, nickte ich. »Geburtsname Stein. Aber
seit wann kümmert sich so ein Mann um profane Dinge wie Geld? Der kann doch
keiner Fliege was zuleide tun. Vermutlich bittet er sogar seine Schwester, dass
sie ihm die Käfer auf Pappe pinnt.«
Covet und Nagel sahen sich ratlos an. »Und?«, fragte Marc.
»Seine Schwester«, sagte ich.
Sie starrten mich an.
»Ihr kennt sie doch, oder? Frau Stein. Ein Mittelding
zwischen Putze und Gesellschafterin. Wenn ihr Bruder erbt, erbt sie mit. Egal,
ob ihr Name im Testament auftaucht oder nicht. Geht der Löwenanteil aber auf
das Konto eines dicken Dirigenten, schaut sie in die Röhre.«
»Dreht der jetzt völlig hohl?«, sagte Nagel. »Erst Frau von
Wonnegut, dann Frau Stein. Der Club der schrulligen Mörderinnen, was?«
Marc schwieg. Entweder kannte er Frau Stein nicht oder ihm
waren meine Spekulationen peinlich.
»Schrullig«, sagte ich, »ist schon wieder das falsche Wort.
Frau Stein ist alles Mögliche, aber nicht schrullig. Sondern gedemütigt und
verbittert.«
»Meinetwegen. Die …«
»Nein, nicht Ihretwegen«, fiel ich ihm ins Wort. »Ist Ihnen
dieses graue,
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