Schlussakt
erzähle ich
Ihnen, an wessen statt Sie gesessen haben. Unschuldigerweise.«
»Hast du es raus?«, fragte Marc. »Du hast es rausgekriegt,
stimmts?«
Nagel steckte langsam den Schlüssel ein und schwieg.
»Wollen Sie es auch erfahren, Herr Nagel? Oder lieber Ihre
Anwältin informieren, dass ich Sie schon wieder belästige?«
Der Geschäftsführer warf seinem Freund einen unsicheren Blick
zu. Dann wischte er sich in einer völlig unpassenden Geste beide Hände an der
Hose ab und murmelte: »Natürlich. Natürlich will ich wissen, wer Annettes
Mörder ist.« Der leidenschaftslose Ton, in dem er das sagte, passte nicht recht
zum Inhalt des Satzes. Nagel litt immer noch an den Spätfolgen seiner Haft.
»Gut. Und wenn Sie mir ein Bierchen vorsetzen, verhaspele ich
mich auch nicht bei meinen Bandwurmerklärungen. Der Fall ist nämlich
kompliziert.«
Kurz darauf saßen wir in Nagels Kunstledersesseln, jeder mit
einem Getränk vor sich. Ich öffnete das Hauptfach des mitgebrachten Rucksacks.
Der Hausherr schaltete den Deckenfluter ein. Früh legte sich in diesen Tagen
die Dämmerung über den Schlierbacher Nordhang.
»Ja«, seufzte ich, »sogar verdammt kompliziert. Obwohl es am
Ende wieder ganz simpel ausschaut. Und daran sind diese Musiker schuld.
Ehrlich, von denen sagt doch keiner die Wahrheit, da wird getrickst und
geheuchelt, du holde Kunst und so weiter. Die Einzige, die klare Worte gefunden
hat, war Dagmar Schulz, Ihre Kollegin, Herr Nagel. Ein vernebeltes Zimmer, aber
klare Worte.«
»Was hat Dagmar mit der Sache zu tun?«, fragte Nagel.
»Sie hat mich über Sinn und Zweck der Freunde des
Musiktheaters aufgeklärt. Der Förderverein als Geldwaschanlage.«
Er stöhnte auf und sah zur Decke.
»Stöhnen Sie nur, Herr Nagel. Das ändert nichts an der
Tatsache, dass die gute …«
»Herr Koller«, unterbrach er mich. »Für Sie mag es ein
innerer Vorbeimarsch sein, wenn Ihnen jemand genau das erzählt, was Sie hören
wollten. Trotzdem sollten Sie sich die Mühe machen, auch die andere Seite zu
Wort kommen zu lassen. Meiner Meinung nach führen Dagmar und Frau von Wonnegut
einen typischen Zickenkrieg. Da geht es um Kleiderfragen, ums Rauchen und
vielleicht noch um den persönlichen Musikgeschmack. Jede unterstellt der
anderen ein paar Gemeinheiten, und Übertreiben gehört dazu.«
»Was mir Frau Schulz berichtete, klang nicht unbedingt
übertrieben.«
»Als Geschäftsführer eines städtischen Orchesters weiß ich,
wie es um die öffentliche Finanzierung des Musikbetriebs steht. Wenn sich in
dieser Situation Privatleute für Kunst engagieren, dann sollen sie auch dafür
belohnt werden. Hängt ihnen Orden um, gewährt ihnen Steuervergünstigungen,
preist sie in der Presse. Ich bin dafür.«
»Und wenn die Belohnung jenseits der Gesetzeslage
stattfindet?«
»Davon weiß ich nichts«, sagte er und nippte mit störrischem
Blick an seinem Rotwein. »Davon will ich auch nichts wissen.«
»Das glaube ich Ihnen gerne. Sie gehören ja auch zum Kreis
der Erlauchten, die aufgrund ihres Amtes Vereinsmitglied sind. Und nicht wegen
ihres Kontos.«
»Vielleicht täuschen Sie sich«, grinste er müde.
»Und nun stellen Sie sich eine Person vor, die auch gerne zum
Förderverein gehören würde, der die Mitgliedschaft aber verwehrt wird. Weil sie
nicht über die notwendigen Mittel verfügt. Weil es mit ihrem Ruf nicht zum
Besten steht. Weil man eine gewisse Spezies Mensch nicht dabeihaben möchte. Da
erfährt diese Person, dass im Förderverein finanziell gemauschelt wird. Könnte
sich dieses Wissen nicht gewinnbringend einsetzen lassen?«
»Gewinnbringend?«, wollte Covet wissen. »Du meinst, durch
eine kleine Erpressung?«
»Aber sicher. Der Verein brüstet sich mit seiner
Exklusivität. Das heißt, dass viele außen vor bleiben. Da entsteht Neid,
Frustration, weil man nicht dazugehört. Und wenn einem die erste Vorsitzende
dann noch sagt, dass man ein elendes Flittchen ist, mag rasch der Wunsch entstehen,
der ganzen Mischpoke eins auszuwischen.«
Nagel und Covet sahen sich an. »Wen meinst du?«, fragte
Covet.
»Annette Nierzwa. Wen sonst?«
»Annette?«, fragte Nagel. »Annette soll den Förderverein
erpresst haben? Lächerlich.«
»Lächerlich«, erwiderte ich und kippte einen großen Schluck
Bier hinunter, »lächerlich ist das falsche Wort, Herr Nagel. Lächerlich finde
ich ganz andere Sachen, aber das lassen wir lieber, sonst machen Sie wieder
einen auf
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