Schlussakt
Moment!«
Unter denen, die sich an uns vorbeischoben, war auch Woll. Den durfte ich nicht
entkommen lassen. »Schreiben Sie mir eine Rechnung«, rief ich der Frau zu,
sprang auf und rannte los. »Max Koller. Das bin ich. Schreiben Sie alles drauf.
Nicht nur das eine, alle Dinger hier.« Hörte sie mich noch? »Koller wie Keller.
Fragen Sie Bernd Nagel! Alles wird gut.«
Unter dem Gelächter ihrer mit mir hinauseilenden Kollegen
folgte ich Woll. Sollten sie nur lachen! Was ist schon ein peinlicher Auftritt
gegen die Aussicht, die Rechnung für eine Traumfrau begleichen zu dürfen?
»Herr Woll!«, schallte mein Ruf durch die Katakomben. »Warten
Sie bitte!«
Keine Reaktion. Schließlich holte ich ihn ein. Seinen Schritt
verlangsamte er nicht eine Sekunde.
»Ich hätte ein paar Fragen an Sie«, sprach ich ihn von der
Seite an.
Er warf mir einen kurzen Blick zu und lief weiter. In seinem
Mundwinkel hing eine kalte Zigarette, er hatte die unreine Gesichtshaut eines
Pubertierenden.
»Entschuldigung, könnten wir uns vielleicht im Stehen
unterhalten?«
»Nicht hier«, sagte er. »Draußen.«
»Trainieren Sie? Für das Sportabzeichen?«
»Witzbold.«
Linker Hand führte eine Treppe in die Oberwelt. Ein kleiner
Innenhof, auf drei Seiten von den Werkstätten des Theaters umschlossen, diente
den Rauchern als Rückzugsgebiet. Rasch war der Aschenbecher belagert. Woll
stellte sich ein wenig abseits. Er hatte wirklich etwas von einem
Schaufelbagger, kurzatmig und gedrungen, wie er war.
»Koller mein Name«, sagte ich. »Ich bin privater Ermittler
und würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
»Was sind Sie?«
»Privatdetektiv.«
»Lachhaft.«
»Nur zu, lachen Sie, und wenn Sie damit fertig sind,
beantworten Sie bitte meine Fragen.«
»Nennen Sie mir einen Grund, warum ich das tun sollte.«
»War das nun Ihre Ex-Frau, die vorgestern ermordet wurde,
oder war sie es nicht?«
»Na und? Mir doch egal. Soll die Polizei kommen. Die k ann mich fragen, was sie will.« Heller Dampf
schlug aus seinem Mund, wenn er sprach.
Ich blieb ganz ruhig. Es
gibt solche Tage: Kein Mensch will mit dir reden, jeder stellt sich bockig,
bläst dir Rauch in die Fresse oder macht einen auf verwundete Seele.
»Können Sie sich vorstelle n,
wer Ihre Ex-Frau umgebracht haben könnte?«
»Nein, kann ich nicht.« Er schnippte ein wenig Asche von
seiner Zigarette. »Aber ich würde ihm ein Bier dafür spendieren.«
»Ach? Ein Bier nur? Bisschen wenig für einen Mord, finden Sie
nicht?«
Woll zuckte bloß die Achseln.
»Sie scheinen kein gutes Verhältnis gehabt zu haben, Sie und
Frau Nierzwa.«
»Kein gutes, Sie Schlauberger? Gar keins. Mit der wollte ich nichts
mehr zu tun haben. Und sie mit mir auch nicht. So einfach ist das.«
»Und warum nicht?«
»Warum nicht? Blöde Frage.« Wütend schleuderte er den
Zigarettenstummel von sich. »Es gibt Leute, die … Ach, vergessen Sies.«
»Sie hatten also keinen Kontakt mehr miteinander?«
»Nein!«
»Und Sie können sich nicht vorstellen, wer für ihren Tod
verantwortlich ist?«
»Sie fragen alles doppelt, merken Sie das nicht?«
Ich schwieg, von der Aggressivität dieses Mannes überrumpelt.
Was hatte eine Frau wie Annette Nierzwa nur an ihm gefunden? Für ihren Mörder
hatte er ein Bier übrig, für sie nur Verachtung. Immerhin, ehrlich war er.
»Okay, da gibt es eine Frage, die ich noch nicht gestellt
habe. Wo waren Sie vorgestern Abend?«
Er sah mich verblüfft an und brach dann in Lachen aus. »Sagt
Ihnen der Name Mozart was?«
»Sie haben bei der Premiere mitgewirkt?«
»Der gute alte Figaro .
Schon zum sechsten Mal in meiner Laufbahn. Noch so ein paar schlaue Fragen?«
»Danke. Schlaue Fragen kann jeder stellen. Ich stelle die
dämlichen.« Und im Gehen fügte ich noch hinzu: »Sobald ich mit dem Fall durch
bin, gebe ich Ihnen Bescheid, wem Sie das Bier ausgeben dürfen.«
Ich weiß, es ist lächerlich, aber ich wollte unbedingt das
letzte Wort in diesem Gespräch haben.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
9
Ich war so geladen, dass ich mich in den
Termitengängen des Theaters verlief. Der Weg zum Foyer ist beschildert, doch
ich übersah die Hinweise. Hinter jeder Ecke lauerte Wolls Fratze, aus jedem
meiner Schritte tönte das verzerrte Echo seiner Worte: Sie fragen alles
doppelt. Soll die Polizei doch kommen. Dem gebe ich einen aus.
Heute Abend würde ich keinen Tropfen Bier trinken,
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