Schlussakt
er und legte auf.
Morgen also würde ich Eva kennen lernen, die tolle Füllige.
Irgendwann musste es ja sein. Seufzend – warum eigentlich? – erhob ich mich vom
Sofa und verließ das Haus. Draußen pfiff mir der Wind um die Ohren. Fröstelnd
fuhr ich los, überholte alte Mütterchen, scheuchte nebeneinander radelnde
Studenten zur Seite. Als ich die Plöck erreichte, war mir einigermaßen warm.
Die beiden folgenden Stunden waren komplett für die Katz. Ich
klapperte die Läden der Plöck und angrenzender Straßen ab, wechselte zwischen
drinnen und draußen, zwischen überhitzten Räumen und zugigen Altstadtgassen,
immer auf der Suche nach einer Person, die Bernd Nagel am Samstagabend gesehen
haben könnte. Aber da war niemand. Ich versuchte es in Buchhandlungen und
Antiquariaten: Vielleicht hatte es eine Lesung gegeben, einen Vortrag,
Publikumsverkehr? Nichts hatte es gegeben. Keine Vernissage in der Galerie
gegenüber vom Theater, keine Verköstigung beim Weinhändler in der Märzgasse.
Fehlanzeige auch bei der Pizzeria an der Ecke: Vier freundliche Tamilen
musterten Nagels Zeitungsfoto eingehend, steckten beratend die Köpfe zusammen,
um sie am Ende ebenso entschieden wie freundlich zu schütteln. Der
Geschäftsführer kam und bestätigte das Votum seiner Landsleute. Über der Tür,
die man mir beim Abschied aufhielt, bestätigte eine Urkunde, dass es sich um
Heidelbergs beste Pizzeria handelte. Um die freundlichste gewiss auch. Nur
weiterhelfen konnten mir die pizzabackenden Asiaten nicht. Die Mütze tief ins Gesicht
ziehend, trat ich auf die Straße.
Der einzige zählbare Erfolg dieses Nachmittags war ein
Reclam-Bändchen mit dem Text zu Figaros Hochzeit . Ich entdeckte es beim
Hinausgehen in einem Antiquariat. ›Jedes Opernbuch 1,- Euro‹, stand auf der
Kiste, und ich beschloss, auch diesen Betrag auf meine Spesenabrechnung zu
setzen. Frau von Wonnegut würde es verkraften.
Zu Hause angekommen, machte ich mir einen Tee, hüllte mich in
eine Decke und blätterte in dem Operntext. Kapieren tat ich nichts. Zu viele
Personen, die alle gleich hießen und wirres Zeug redeten. Nur dass jeder dem
anderen an die Wäsche wollte, das verstand ich. Kommt ja öfter vor in Opern.
Ich griff zum Telefon und rief Marc Covet in der Redaktion
an. Auch er wollte natürlich zuerst wissen, ob ich etwas herausgefunden hatte,
und wie zuvor bei Frau von Wonnegut blieb ich vage.
»Vielleicht klappt es mit dem Alibi für deinen Freund Nagel.
Aber drauf wetten solltest du nicht.«
Covet schwieg.
»Trotzdem würde ich mir an deiner Stelle keine allzu großen Sorgen
machen. Wenn er dir sagt, dass er es nicht war, dann war er es auch nicht. Ich
meine, unter Freunden … Ihr seid doch gut befreundet, oder?«
»Ja, natürlich«, brummte Covet.
»Glaubst du ihm nicht?«
»Ich glaube ihm, und ich weiß, dass er niemanden umbringen
könnte, schon gar keine Frau.«
»Aber?«
»Was aber?«
»Du klingst nach einem Aber.«
Ich hörte ihn schwer atmen. »Wie sieht es mit den Polizisten
aus? Werden die ihm glauben? Sie haben ihn heute fast drei Stunden verhört.
Bernd war völlig fertig danach, du kannst dir nicht vorstellen, wie ihn das
belastet.«
»Klar, wen würde das nicht?«
»Für die ist er der Hauptverdächtige.«
»Wundert dich das? Er war Annettes letzter Liebhaber, er hat
sie gefunden, sie lag in seinem Zimmer. Die Polizei muss sich zunächst auf
Nagel konzentrieren, alles andere wäre widersinnig. Und auch wenn das aus
meinem Mund seltsam klingt: Auf die Behörden kannst du dich verlassen. Die
werden schon herausfinden, dass dein Kumpel Bernd unschuldig ist. Selbst wenn
es ein paar Tage dauert.«
»Du hättest ihn heute sehen sollen«, sagte Covet missmutig.
»Der Mann ist am Ende seiner Kräfte.«
»Ach komm, der soll mal nicht so auf die Tränendrüse drücken,
dein Bernd Nagel.«
»Was heißt hier Tränendrüse?«, bellte er in den Hörer. »Er
hat schließlich nicht irgendjemanden in seinem Zimmer gefunden, sondern seine
Ex-Freundin.«
»Eben. Sie waren seit Wochen oder Monaten nicht mehr
zusammen.«
»Und deshalb soll es ihn nicht mehr gejuckt haben? Versetz
dich mal in seine Lage, Max! Er hat dir selbst gesagt, dass ihm die Geschichte
mit Annette immer noch im Kopf herumging. Ein bisschen mehr Sensibilität von
deiner Seite wäre angebracht.«
»Gerne«, sagte ich. Sensibilität, na sicher, die konnte er
haben. Früher hatte mir meine Frau damit in den Ohren
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