Schlussblende
den Kopf. »Armer Teufel. Statt die Goldmedaille zu gewinnen, mußte er lernen, mit seiner Prothese umzugehen. So was hat keiner verdient.«
Leon hörte ein unausgesprochenes »nicht mal Jacko Vance« aus Jimmys Bemerkung heraus. »Hat er nie mit dem Gedanken gespielt, an den Paralympics teilzunehmen?«
Jimmy schnaubte verächtlich. »Jacko? Da hätte er ja zugeben müssen, daß er behindert ist.«
»Sie wurden also, als er dreizehn war, sein Trainer.«
»Ja. In London hat’s ihm gefallen. Da hatte er alles, was er fürs Training brauchte. Und er hätte am liebsten Tag und Nacht trainiert. Ich hab ihn mal gefragt, ob’s ihn nicht zumindest am Wochenende nach Hause zieht.«
»Und was hat er geantwortet?«
»Er hat nur die Achseln gezuckt. Ich hatte den Eindruck, daß es seiner Mutter egal ist, was er tut, solange sie zu Hause Ruhe vor ihm hat. Damals war sie schon nicht mehr mit seinem Vater zusammen. Getrennt oder geschieden, was weiß ich.«
»Sind seine Eltern nie nach London gekommen?«
Jimmy schüttelte den Kopf. »Hab die Mutter nie gesehen. Sein Vater ist mal zu einem Elterntreffen gekommen. Damals hat Jacko gerade für die Jugendmeisterschaft über fünfzehn trainiert. Die hat er aber in den Sand gesetzt. Ich glaube, sein Vater hat ihn mordsmäßig zusammengestaucht. Ich hab ihn beiseite genommen und ihm gesagt, er solle lieber wegbleiben, wenn er seinem Jungen nicht den Rücken stärkt.«
»Und wie hat er das aufgenommen?«
Jimmy trank einen Schluck Tee. »Hat mich einen blöden Schwätzer genannt. Da hab ich ihn rausgeschmissen.«
Leon wußte, daß das Tony interessieren würde. Offensichtlich sehnte sich der junge Jacko nach Beachtung. Die Mutter ließ ihn links liegen, der Vater war untergetaucht, also blieb ihm nur der Sport, in der Hoffnung, daß ihm der ein wenig Anerkennung einbrachte. »Er war also ziemlich einsam, der Jacko?« Leon zündete sich eine Zigarette an und tat so, als habe er Jimmys mißbilligenden Blick nicht bemerkt.
»Irgendwie kam er bei den anderen nicht an. Brachte es nicht fertig, auch mal fünfe gerade sein zu lassen, wie man so sagt. Aber ein typischer Einzelgänger war er nicht. Hatte immer Jillie im Schlepptau. Die hing wie eine Klette an ihm und hat ihm dauernd gesagt, was für ein toller Kerl er wäre.«
»Sie waren also ineinander verliebt?«
»Sie war in ihn verliebt. Er war nur in sich selbst verliebt, aber es gefiel ihm, daß sie ihn anhimmelte. Obwohl, manchmal machte Jillie den Eindruck, als hätte sie genug von ihm. Ich hab Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, daß die beiden zusammenblieben. Jillie, hab ich gesagt, die meisten Mädchen kriegen höchstens einen billigen goldenen Ring, aber du, hab ich gesagt, du kriegst eine Goldmedaille.« Er wedelte Leons Rauch mit der Hand weg. »Um ehrlich zu sein, sonst wär’s mit den beiden schon früher aus gewesen. Jillie hat ja miterlebt, wie Jackos Sportkameraden ihre Freundinnen behandelten, und im Vergleich zu denen hat er nicht besonders gut abgeschnitten. Hätte er nicht den Arm verloren, wär sie vielleicht bei ihm geblieben, dem Ruhm und dem Zaster zuliebe, den der Sport einbrachte. Damals fing das nämlich gerade an mit Werbeverträgen und so. Aber nun war er eben nicht mehr der erhoffte Dukatenesel.«
Leon traute seinen Ohren nicht. »Ich dachte, Jacko hätte sie sitzenlassen, weil er ihr nicht zumuten wollte, daß sie sich an ihr Wort gebunden fühlte. Das hab ich irgendwo gelesen.«
Jimmy grinste verkniffen. »Sie sind also auch darauf reingefallen? Den Schmus hat er der Presse weisgemacht, damit er groß rauskam und nicht als Verlierer dastand.«
Demnach konnte Shaz durchaus recht gehabt haben. Zwei Streßfaktoren waren zusammengekommen, der verlorene Arm und die verlorene Zukunft. Und nun hatte er auch noch Jillie verloren. Das konnte einen, der mit sich und der Welt ohnehin nicht im reinen war, schon dazu treiben, Rachegedanken zu hegen.
Leon drückte die Zigarette aus und fragte: »Hat er Ihnen die Wahrheit erzählt?«
»Nein, Jillie. Ich hab sie an dem Tag ins Krankenhaus mitgenommen, und da hat sie’s ihm gesagt. Hinterher hat er sich bei mir beklagt, sie sei ein gemeines Luder und hätt’s nur auf sein Geld abgesehen. Ich hab versucht, ihm gut zuzureden. Daß er für die Paralympics trainieren könnte und froh sein sollte, daß er früh genug gemerkt hatte, wie er mit Jillie dran war. Da hat er mich rausgeschmissen, und ich hab ihn nie wieder gesehen.«
»Sie haben ihn nicht mehr im
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