Schlussblende
für den Festzug fein angezogen.
Und sie saß in einem festlichen, von Petticoats aufgebauschten Gewand in einer riesigen Blüte aus Kreppapier auf der Ladefläche eines Pick-ups. Denn sie war die Blütenprinzessin, und alle jubelten ihr zu, was sie vor lauter Freude vergessen ließ, wie unbequem das steife Kleid an diesem warmen Tag war und wie die Plastikkrone hinter ihren Ohren drückte. Im milchigen Nebel ihrer Desorientierung zwischen Traum und Realität wunderte sie sich noch, wieso die Sonne in England so unbarmherzig brennen konnte, daß sie abwechselnd schwitzte und vor Kälte zitterte.
Von dem zerquetschten Arm, dessen blaurot verfärbtes Fleisch nutzlos an den zertrümmerten Knochen klebte, spürte sie nichts. Aber sie ahnte, daß die Verletzung sie von innen heraus vergiftete. Darum fiel es ihr so schwer, wenigstens ein bißchen Überlebensmut zu entwickeln. Ihr geschundener Körper wartete sehnsüchtig auf den Tod, damit er endlich verwesen konnte.
S chon als er ausgestiegen war, um das Garagentor zu schließen, hatte Alan Brinkley bemerkt, daß sein Atem als weißes Wölkchen in der Luft hing. O ja, dieser Winter hatte es in sich. Da traf es sich gut, daß er heute keinen weiten Fußweg zurücklegen mußte. Hätte ihm gerade noch gefehlt, mit vor Kälte tauben Fingern herumfummeln zu müssen.
Das Ziel, das er sich ausgesucht hatte, war eine Farbenfabrik im Industriegebiet am Stadtrand. Praktisch, weil er gleich nebenan vor einer Karosseriewerkstatt parken konnte. Dort standen sowieso immer eine Menge Fahrzeuge herum, da kam’s auf eins mehr nicht an. Nicht, daß er befürchtet hätte, es könne ihn jemand sehen. Zufällig wußte er, daß der Mann vom Bewachungsunternehmen zwischen zwei und halb vier nachts seine Runden woanders drehte. Der arme Teufel wurde von seinem Boß hemmungslos herumgescheucht. Wenn jemand bei so vielen Objekten nach dem Rechten sehen soll, kann er das nirgendwo gründlich tun.
Brinkley fuhr auf den Hof der Karosseriewerkstatt, schaltete den Motor und die Scheinwerfer aus und überzeugte sich, daß ihm wirklich nichts aus den Taschen der Montur gerutscht war. Nein, alles da – die Zündschnur, das Sturmfeuerzeug, das Päckchen Zigaretten, die Streichhölzer, die gestrige Zeitung, das Schweizer Armeemesser und das ölgetränkte Handtuch. Er ließ das Handschuhfach aufklappen und nahm die Taschenlampe heraus.
Augen zu, drei tiefe Atemzüge, er war bereit.
Er stieg aus dem Wagen und ließ den Blick über die Autos vor der Karosseriewerkstatt schweifen. Automatisch nahm er auch den Bug des Vauxhall wahr, der im Halbdunkel auf der Zufahrtsstraße parkte. Ohne Licht, abgeschalteter Motor – kein Grund zur Beunruhigung. Er überquerte das Vorfeld der Farbenfabrik. O Mann, wurde das heute ein Feuerwerk! Jede Wette, daß da auch die angrenzenden Gebäude was abbekamen. Noch zwei, drei solche Großbrände, und Jim Pendlebury mußte ihn – Budget hin, Budget her – als vollzeitbeschäftigten Feuerwehrmann übernehmen. Das reichte zwar immer noch nicht, um die Zinsen all der Schulden zu bezahlen, die Maureen und er angehäuft hatten, aber er war wenigstens in der Lage, die Gläubiger eine Weile hinzuhalten, bis ihm etwas einfiel, wie sie sich fürs erste oder sogar auf Dauer über Wasser halten konnten.
Brinkley schüttelte den Kopf, als wollte er die Zukunftsängste loswerden, die ihn jedesmal befielen, wenn er an den Schuldenberg dachte. Er mußte sich jetzt auf seine Arbeit konzentrieren, sich klarmachen, daß das der einzige Weg zum Überleben war. Der Pennbruder, der neulich bei dem Brand umgekommen war, hatte sich schon aufgegeben, lange bevor Brinkley ans Werk gegangen war. So weit ließ er’s nicht kommen, er mogelte sich irgendwie durch. Er mußte nur alles, was ihn ablenken konnte, aus seinem Hirn verbannen und sich auf seine Aufgabe konzentrieren. Nur so konnte er ans Ziel kommen, ohne erwischt zu werden.
Denn wenn er erwischt wurde, machte ihm das endgültig einen Strich durch die Rechnung. Dann konnte er die Schulden nie mehr zurückzahlen, und das würde Maureen ihm nie verzeihen.
Er griff in den Spalt zwischen der Fabrikmauer und dem Abfallhaufen des Nachbargeländes, und seine Finger schlossen sich um den vorsorglich dort deponierten Plastikbeutel. Diesmal war das Bürofenster seine beste Chance, obwohl es von der Straße einzusehen war. Aber auf der Straße war ja niemand. Und mindestens eine Stunde lang würde auch niemand kommen.
Er brauchte nicht mal
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