Schlussblende
herhinken.«
Sie hatte sich angewöhnt, Leute, denen sie zum ersten Mal begegnete, so genau zu beobachten, als müsse sie ein Polizeibulletin über sie anfertigen. Bei Pendlebury bestimmten die kräftigen, dicht über den blaugrauen Augen sitzenden Brauen die Mimik. Für einen, der die meiste Zeit am Schreibtisch verbrachte, sah er erstaunlich wettergegerbt aus – vielleicht vom Freizeitsegeln oder vom Angeln in der Bucht, vermutete sie. Als er kurz den Kopf neigte, sah sie, daß sich ein paar Silbersträhnen zwischen die dunklen Locken geschlichen hatten. Also ging er wahrscheinlich doch schon auf Mitte Vierzig zu, korrigierte sie ihre erste Schätzung.
»Nachdem Sie gesehen haben, wie wir arbeiten, sind Sie vielleicht eher bereit, unsere These, daß bei jedem Brand a priori von Brandstiftung auszugehen ist, nicht für blanken Unsinn halten.« Sein Ton enthielt keine Schärfe, aber sein Blick war eine Herausforderung.
»An dieser These habe ich nie gezweifelt«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Ich bezweifle eher, ob wir das Ganze ernst genug nehmen.« Sie zog den Ordner mit den Kopien aus der Aktenmappe. »Ich würde diese Brandfälle gern mit Ihnen durchgehen, wenn Ihre Zeit das erlaubt.«
Pendlebury legte den Kopf schief. »Wollen Sie damit das sagen, was ich heraushöre.«
»Nachdem ich gesehen habe, wie Sie arbeiten, gehe ich davon aus, daß Ihnen auch schon der Gedanke an einen Serienbrandstifter gekommen sein muß.«
Er sah sie groß an. »Schau mal an. Und ich hab mich schon gefragt, wie lange es dauert, bis jemand bei euch darauf kommt.«
Carol rümpfte die Nase. »Es wäre hilfreich gewesen, wenn Sie uns einen kleinen Wink gegeben hätten. Schließlich sind Sie die Experten.«
Pendlebury zuckte die Achseln. »Ihr Vorgänger hat das anders gesehen.«
Carol schob ihm den Ordner hin. »Schnee von gestern. Ist Ihnen bereits bei weiter zurückliegenden Fällen der Verdacht auf mögliche Brandstiftung gekommen?«
Er starrte auf das Datum des obersten Blattes und schnaubte leise. »Wie weit wollen Sie denn zurückgehen?«
Tony Hill saß grübelnd an seinem Schreibtisch. Eigentlich hatte er sich auf das morgige Seminar vorbereiten wollen, aber er war inzwischen in Gedanken bei all den kranken Gehirnen da draußen gelandet, die sich in diesem Augenblick ausmalten, wie sie Menschen, die noch nichts davon ahnten, quälen wollten.
Die Psychologie hatte die Existenz des Bösen lange geleugnet und selbst schlimmste Exzesse bei Fällen von Entführung, Folterung und Mord dadurch zu erklären versucht, daß ein bestimmtes Schlüsselerlebnis ausreichen kann, um Menschen, die durch die Bedingungen und besondere Ereignisse in ihrer Jugend vorbelastet sind, zu einem Verhalten zu treiben, das von der menschlichen Gesellschaft als abartig angesehen wird. Aber Tony hatte das nie überzeugt, weil es die Frage offenließ, warum dann andere, die als Kinder ebenfalls unter Mißbrauch oder Liebesentzug gelitten hatten, zu anständigen Menschen geworden waren.
Neuerdings war unter Wissenschaftlern die Rede von einer genetischen Antwort – einer Bruchstelle im DNS -Code, die die Abweichung von der sogenannten Norm erklären sollte. Auch diese Anwort war ihm zu gewollt. Sie war letztlich ein Abklatsch der längst überholten These, daß manche Menschen eben von Natur aus böse seien, und damit basta. Eine Theorie, die den Menschen von jeglicher Verantwortung für sein Handeln freisprach.
Es war ein Thema, das ihn in besonderer Weise fesselte und zugleich die Frage beantwortete, warum er auf seinem Fachgebiet so gut war. Weil er sich bei der Jagd auf einen Serienmörder in den Täter hineindachte und ihn quasi in dessen eigenen Fußstapfen verfolgte. Bis ihre Wege sich an einem Punkt, den er nicht genau definieren konnte, trennten. Anfangs waren die Mörder die Jäger, dann, wenn sie jenseits dieses nicht definierbaren Punktes angekommen waren, jagte er sie. Und doch hallte das Echo ihres Denkens immerfort in ihm wider. Die Fantasien, die sie zu ihren Taten trieben, kreisten um Sex und Tod. Seine Fantasien von Sex und Tod nannte man Profiling. Nur, sie waren denjenigen eines Mörders unheimlich ähnlich.
Manchmal erinnerte ihn das an die alte Frage, was zuerst dagewesen war, die Henne oder das Ei. Hatte seine Impotenz etwas mit der insgeheim gehegten Sorge zu tun, ein allzu freies Ausleben seiner Sexualität könne in Gewalt und Tod enden? Oder lag die Tatsache, daß er seine Sexualität nicht mehr ausleben konnte,
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