Schlussblende
an seinem Wissen, wie oft der Sexualtrieb Menschen zu Mördern werden ließ? Er bezweifelte, daß er je die Antwort darauf fand. Egal, was Ursache und was Wirkung war, soviel stand fest: seine Arbeit hatte sein Leben infiziert.
Ohne recht zu wissen, warum, fiel ihm die unkomplizierte Begeisterung ein, die er in Shaz Bowmans Augen gelesen hatte. Die Begeisterung, die auch er einmal empfunden hatte. Bis sie durch die Konfrontation mit all dem Schrecklichen, das Menschen einander antun können, gedämpft worden war. Vielleicht konnte er sein Wissen dazu nutzen, seine Gruppe besser dagegen zu wappnen, als er es gewesen war. Allein das lohnte jede Anstrengung.
Shaz Bowman verließ mit einem Mausklick das Internet, schaltete den Computer aus und starrte mit blicklosen Augen auf den dunkel werdenden Bildschirm. Auf alles war sie gefaßt gewesen, als sie beschlossen hatte, mit Hilfe des Internets ein wenig in Tony Hills Vergangenheit zu stöbern, aber darauf nicht.
»Tony Hill – Bradfield – Killer« hatte sie als Schlüsselwörter eingegeben und war zu ihrer Überraschung auf einen Schatz an Informationen gestoßen – freilich einen schaurigen Schatz. Mehrere Internetseiten mit Presseausschnitten und Kommentaren beschäftigten sich mit dem sogenannten Schwulenkiller. Shaz hatte den Rest des Abends damit verbracht, alle Informationen zu lesen, die sie finden konnte. Und so war das, was als akademische Übung begonnen hatte, weil sie die Ursache für Tony Hills heftige Reaktion herausfinden wollte, zu einem Horrortrip durch seine Vergangenheit geworden, der ihr das Herz schwermachte.
Die Fakten waren eindeutig. In bevorzugt von Schwulen aufgesuchten Gegenden von Bradfield waren vier nackte männliche Leichen gefunden worden – weggeworfen wie Abfall. Die Opfer waren vor ihrem Tod mit unvorstellbarer Grausamkeit gefoltert worden. Schließlich hatte die Polizei Tony Hill hinzugezogen, er sollte gemeinsam mit Detective Inspector Carol Jordan ein Täterprofil erarbeiten. Sie waren dem Mörder schon dicht auf der Spur, als aus den Jägern Gejagte wurden. Der Killer wollte Tony haben, um ein Menschenopfer darzubringen. Gefesselt und grausam gequält, wäre er um ein Haar zum Opfer Nummer fünf geworden. Die Rettung in letzter Sekunde verdankte er nicht einem Eingreifen von außen, sondern seiner in vielen Jahren der Beschäftigung mit geistesgestörten Tätern antrainierten Überredungskunst. Um jedoch sein Leben zu retten, hatte er seinen Peiniger töten müssen.
Shaz hatte fassungslos auf den Bildschirm gestarrt, mit tränenverhangenem Blick und vor Angst und Entsetzen zitternd. Mit dem Fluch lebhafter Vorstellungskraft gestraft, hatte sie sich ausmalen können, durch welche Hölle er gegangen war.
Wie lebte er damit? fragte sie sich beklommen. Wie konnte er mit diesen Erinnerungen Schlaf finden? Kein Wunder, daß er sich weigerte, das als Lehrbeispiel bei einem ihrer Seminare zu behandeln. Eher erstaunlich, woher er die Kraft nahm, sich weiter einer Aufgabe zu stellen, die ihn immer wieder bis an die Grenzen des Wahnsinns führen mußte.
Und wie wäre sie an seiner Stelle damit fertig geworden? Shaz vergrub das Gesicht in den Händen. Zum ersten Mal, seit sie von der Profilergruppe gehört hatte, fragte sie sich, ob sie nicht einen schrecklichen Fehler begangen hatte.
Betsy mixte den Drink für die Journalistin mit viel Gin, wenig Tonic und einem Viertel Lemone, deren süßsaures Aroma den Gingeschmack übertönen sollte. Daß die Beziehung zwischen ihr und Micky nie zu einem Skandal geführt hatte, lag zum guten Teil an der Sorgfalt, mit der sie dafür gesorgt hatte, daß außer Jacko niemand das Geheimnis mit ihnen teilte. Suzy Joseph mit ihrem Zahnpastalächeln und affektierten Charme vertrat zwar eines der prominentenfreundlichsten Hochglanzmagazine, hätte aber, sobald sie eine pikante Klatschgeschichte witterte, ohne Zögern zugegriffen. Also durften die Drinks kräftiger ausfallen, um so sicherer war Suzys Wahrnehmungsvermögen schon durch einen leicht getrübten Blick beeinträchtigt, wenn sie sich nachher mit Micky und Jacko zum Lunch traf.
Betsy setzte sich etwas schräg, den Arm auf die Rückenlehne des Sofas gelegt, in dessen schwellenden Polstern die schmächtige Journalistin fast ertrank. Auf die Weise behielt sie Suzy immer im Blick, während die sich, wenn sie sie ansehen wollte, in den Hüften verrenken mußte. Außerdem machte das Arrangement es Betsy leichter, unauffällig
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