Schlussblende
Kraft in Träumen steckte. Sie konnten alles wahr machen, was man sich wünschte. Manche Lehrer schmolzen beim Anblick dieses netten kleinen Jungen förmlich dahin. Also dauerte es nicht lange, bis er den richtigen Dreh gefunden hatte, sie nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Die Erfahrung, wie leicht er sie manipulieren konnte, machte nichts von dem wett, was er zu Hause erleiden mußte, verhalf ihm aber schon in frühen Jahren zu einem Gespür dafür, wieviel Vergnügen es machen kann, Macht über andere auszuüben.
Obwohl ihm viel an seiner Ausstrahlung lag, verließ er sich nie ausschließlich auf die Wirkung seines Charmes. Es war, als merke er es instinktiv, wenn er auf Menschen traf, bei denen es anderer Waffen bedurfte, um sie sich gefügig zu machen. Und als er dann noch die Kraft der Worte entdeckt hatte, war es ihm ein leichtes, immer und überall die Ziele zu erreichen, die er sich gesteckt hatte. Endgültig waren die Weichen gestellt, als Jacko seine sportlichen Anlagen entdeckte und erkannte, daß sich auf diesem Feld mehr Möglichkeiten zur Entfaltung boten als im engen Klassenzimmer. Es zahlte sich einfach eher aus, spektakuläre Leistungen vor einem großen Publikum zu erbringen.
Natürlich war es unvermeidlich, daß seine Mitschüler ihm die unverhohlene Art, in der er sich bei all denen lieb Kind machte, die an den Schalthebeln der Macht saßen – also bei den Lehrern –, übelnahmen; Lieblingsschüler sind bei Mitschülern nie sehr beliebt. Er mußte die üblichen Raufereien ausfechten, und mitunter gewann er dabei, mitunter nicht. Die Jungen, gegen die er verlor, vergaß er nie. Es mochte Jahre dauern, aber irgendwann fand er einen Weg, an dem Sieger von einst Rache zu nehmen, wobei der arme Kerl meistens nicht mal ahnte, wer ihm da ein Bein gestellt hatte.
Jeder in der Wohnsiedlung, in der er aufgewachsen war, erinnerte sich an seine Dauerfehde mit Danny Boy Ferguson, der ihm, etwa zu der Zeit, als beide zehn, zwölf Jahre alt waren, das Leben schwergemacht hatte, wo immer er konnte. Als Jacko eines Tages wütend auf ihn losgegangen war, hatte Danny Boy ihn – mit einer Hand, die andere ostentativ hochgereckt – zu Boden geschlagen. Jackos gebrochene Nase war gut verheilt, aber im Inneren, hinter der zur Schau gestellten Liebenswürdigkeit, brannte unversöhnlicher Haß in ihm.
Als Jacko seine erste britische Jugendmeisterschaft gewann, wurde er über Nacht zum Star der Wohnsiedlung. Noch nie war das Foto von irgend jemandem aus dieser Gegend in einer Zeitung abgedruckt worden, nicht mal das von Gladstone Sanders, nachdem er den schweren Betonbrocken aus dem zehnten Stockwerk auf die Straße gekippt hatte. Jackos Foto erschien sogar in den überregionalen Blättern. Es kostete ihn keine große Mühe, Danny Boys Freundin Kimberly zu überreden, sich mit ihm in der nahe gelegenen Großstadt die Nacht um die Ohren zu schlagen.
Eine Woche lang lud er sie zu Drinks und zum Essen ein, dann ließ er sie fallen. Und an einem Sonntag abend schlug dann für Jacko die Stunde der Rache. Danny Boy zog sich in einer Kneipe sein fünftes Pint rein, nicht ahnend, daß Jacko mit einem Fünfziger cash den Wirt bestochen hatte, über die Stereoanlage des Lokals das – natürlich heimlich aufgenommene – Band zu übertragen, auf dem Kimberly ihm in allen Details anvertraute, was für ein lausiger Fick Danny Boy sei.
All das fiel ihm wieder ein, weil er glaubte, in Micky Morgan bei ihren Besuchen im Krankenhaus eine verwandte Seele entdeckt zu haben. Er war sich nicht sicher, was sie wollte, aber irgendein Gefühl sagte ihm, daß sie etwas wollte. Und als Jillie ihm den Laufpaß gegeben und Micky angeboten hatte, ihm zu helfen, wurde aus dem Gefühl Gewißheit.
Fünf Minuten nachdem Micky das Krankenhaus verlassen hatte, heuerte er den Privatdetektiv an. Der Mann war gut und lieferte ihm das Ergebnis seiner Recherchen schneller als erwartet. Und als Jacko dann in den schreienden Schlagzeilen der Klatschpresse nachlesen konnte, was Micky daraus gemacht hatte, wurde ihm endlich klar, was sie von ihm wollte. Und er erkannte schlagartig, auf welche Weise er Mickys Motive am besten für sich nutzen konnte.
SPORTSTAR JACK SAGT DER LIEBE ADIEU !
EIN HELD MIT GEBROCHENEM HERZEN !
JACKS TRAGISCHER OPFERGANG !
Er grinste in sich hinein und las weiter.
Ein Mann, den alle Briten wegen seines Muts bewundern, hat heute ein mutiges Bekenntnis abgelegt und das Geheimnis des größten Opfers seines Lebens
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