Schlussblende
schuf ein inneres Gegengewicht zu der ständig nagenden Furcht, daß sie vielleicht doch nicht Wort hielt. Eine Möglichkeit, die ihm, sogar während er mit den armen Würmchen in der Spezialklinik für krebskranke Kinder Computerspiele gespielt hatte, unablässig durch den Kopf gegangen war. Im Geiste sah er Donna, wie sie ihrer besten Freundin, in der Schulgarderobe hinter Mänteln und Überjacken versteckt, das Geheimnis verriet. Das war das Risiko, das er jedesmal einging. Aber bisher hatte er noch immer richtig eingeschätzt, wie die Würfel fielen, deshalb war er nie behelligt worden. Jedenfalls nicht durch polizeiliche Ermittlungen. Einmal hatten die verzweifelten Eltern eines vermißten Teenagers ihn gebeten, übers Fernsehen einen Appell an das Mädchen zu richten. An ihn hatten sie sich gewandt, weil ihre Tochter, wie sie ihm erzählten, wo sie auch wäre, mit Sicherheit seine wöchentliche Sendung
Besuch von Vance
nicht verpassen würde. Ach, das Schicksal war mitunter zu köstlichen Späßen aufgelegt! Er hatte noch Monate danach einen Steifen bekommen, wenn er daran dachte. Na schön, er hatte ihnen den Gefallen getan, es blieb ihm ja nichts anderes übrig. Hätte er ihnen vielleicht raten sollen, lieber über ein Medium Kontakt zu ihrer Tochter zu suchen? Na also.
Nachdem er zwei Nächte lang auf den Beinen gewesen war, fiel er kurz nach Mitternacht in Tiefschlaf, um in der Morgendämmerung mit weit aufgerissenen Augen und rasendem Pulsschlag auf einem völlig verschwitzten Laken hochzuschrecken. Was den Alptraum ausgelöst hatte, wußte er nicht, aber er tat danach kein Auge mehr zu und verbrachte den Rest der Nacht damit, in seinem Hotelzimmer ruhelos auf und ab zu wandern, abwechselnd von innerem Jubel erfüllt oder von rätselhaften Ängsten geschüttelt.
Aber irgendwann lag auch das hinter ihm. Am Donnerstag abend hielt er sich bereits in seinem Schlupfwinkel in Northumberland auf. Ruhig und abgeschieden wie ein Bauernhof in den Highlands, obwohl das Haus – eine ehemalige Methodistenkapelle, so winzig, daß höchstens zwei Dutzend Gläubige darin Platz gefunden hatten – nur fünfzehn Autominuten von der Innenstadt entfernt lag. Als die Kapelle zum Verkauf angeboten wurde, bestand sie im Grunde nur noch aus vier kahlen Wänden mit einem allmählich einfallenden Dach darüber. Aber ein paar örtliche Bauunternehmen hatten – froh über einen Auftraggeber, der bar zahlte – in Teamarbeit ein richtiges kleines Schmuckstück daraus gemacht und wegen der ausgefallenen Wünsche des Bauherrn bezüglich der Raumaufteilung selbstverständlich keine neugierigen Fragen gestellt.
Er musterte überaus zufrieden die Vorbereitungen für seinen jungen Gast. Das Bett war frisch bezogen, kuschelweiche Handtücher lagen bereit. Das Telefon war abgestellt, der Anrufbeantworter ›stumm‹ geschaltet, das Faxgerät in einer Schublade verschwunden. Von ihm aus konnten die Hilfsmittel moderner Kommunikation die ganze Nacht vor sich hin blinken, er war erst morgen früh wieder zu erreichen. Auf die blütenweiße Leinentischdecke wäre jede Hausfrau stolz gewesen. Er hatte den Tisch mit edlem Porzellan, Kristallgläsern und silbernen Kerzenleuchtern eingedeckt und eine Kristallvase mit roten Rosen dazugestellt. Donna war bestimmt schlichtweg überwältigt. Daß sie zum letzten Mal mit Messer und Gabel aß, konnte sie natürlich nicht ahnen.
Ein letzter prüfender Blick in die Runde – alles war so, wie es sein mußte. Nichts zu sehen von den Ketten, den Lederfesseln und dem seidenen Knebeltuch. Wie harmlos eine Zimmermannswerkbank doch aussehen konnte, wenn keine Werkzeuge darauf bereitlagen, abgesehen von dem fest montierten Schraubstock. Er hatte die Werkbank selbst entworfen, auch das neben dem Kopfteil angeschraubte Klappbrett, auf dem er später seine Spezialwerkzeuge ausbreiten würde.
Ein Blick auf die Uhr – Zeit, loszufahren, obwohl es nicht weit war: zuerst ein Stück über den holperigen Feldweg, dessen Schlaglöcher der Land Rover aber klaglos überwand, dann noch die wenigen Kilometer auf der leeren Nebenstraße zu der vermutlich menschenleeren Bahnhaltestelle Five Walls. Mit einem genüßlichen Lächeln, in dem sich seine ganze Vorfreude widerspiegelte, zündete er die Kerzen an. Er hegte jetzt keinen Zweifel mehr, daß sie Wort gehalten und ihr und sein Geheimnis gewahrt hatte.
»Na, willst du nicht in meine gute Stube kommen?« fragte die Spinne die Fliege …
E ndlich waren Tim
Weitere Kostenlose Bücher