Schlussblende
verregneten Sonntag der soundsovielten Wiederholung eines uralten Films im Fernsehen.
Es war fast zehn Uhr, als sie die Rampe zur Tiefgarage des Barbicankomplexes hinunterfuhr. Peter, der Parkwärter, konnte sich offenbar noch an sie erinnern, jedenfalls begrüßte er sie fröhlich mit einem scherzhaften »Hallo, Fremde – ist ’ne Weile her, daß wir uns zuletzt gesehen haben«.
»Ich bin nach Leeds umgezogen«, sagte sie, ohne zu erwähnen, daß der Umzug erst vor kurzem stattgefunden hatte. Es mußte gut und gern achtzehn Monate hersein, daß sie das letzte Mal hiergewesen war, aber dafür gab es Gründe, die niemanden etwas angingen.
Peter quetschte sich an ihr vorbei durch die schmale Tür des engen Glasgevierts, weil er einen freien Stellplatz für sie suchen wollte. »Ulkig, Chris hat gar nichts davon gesagt, daß Sie kommen.«
»Tja, das hat sich erst in letzter Minute so ergeben«, sagte sie ausweichend und stieg schon mal ins Auto, während er stirnrunzelnd das Parkdeck inspizierte. »Bleiben Sie über Nacht?«
»Nein, ich werd nicht lange bleiben.« Sie ließ den Motor an, folgte ihm im Schrittempo und rangierte ihr Auto auf den Stellplatz, den Peter für sie ausgesucht hatte.
»Ich laß Sie noch ins Haus«, sagte er, als sie ausgestiegen war. »Wie lebt sich’s denn so im eiskalten Norden?«
Shaz schmunzelte. »Na ja, die spielen da oben den besseren Fußball«, war alles, was ihr auf die Schnelle einfiel.
Dann standen sie vor der schweren Metalltür, die die Tiefgarage vom Wohnhaus trennte, er schloß sie auf, sie nickten sich freundlich zu, und zwei, drei Sekunden später stand sie vor dem Fahrstuhl und drückte die Ruftaste.
Als sie im dritten Stock über den mit Teppichboden ausgelegten Flur ging, holte die alte Beklommenheit sie ein. Sie atmete tief durch, dann drückte sie den Klingelknopf. Lange Zeit rührte sich nichts, erst als sie schon gehen wollte, hörte sie schlurfende Schritte. Die Tür wurde einen Spalt geöffnet.
Zerzaustes kastanienrotes Haar, trübe Augen mit dunklen Ringen, eine Schniefnase und ein halb hinter einer Hand mit untadelig manikürten Fingern verstecktes Gähnen – mehr konnte Shaz fürs erste nicht erkennen.
Ihr Lächeln fiel so schmal aus wie der Türspalt, aber es war wohl herzlich genug, daß Chris Devine schlagartig hellwach wurde. Die Hand, die das Gähnen kaschiert hatte, rutschte nach unten, aber der Mund stand weiter offen. Chris’ Mienenspiel spiegelte das Wechselbad ihrer Gefühle wider, von Verblüffung über Freude bis zu Bestürzung.
»Hab ich ’ne Chance, einen Becher Kaffee zu kriegen?« fragte Shaz.
Chris zögerte einen Moment, dann trat sie einen Schritt zurück und zog die Tür weiter auf. »Du kommst am besten erst mal rein«, sagte sie.
W er etwas erreichen will, muß sich anstrengen. Eine Lebensweisheit, an die er sich, sooft ihn Zweifel quälten, immer wieder selbst erinnerte, obwohl sie ihm von Kindesbeinen an so eingebleut worden war, daß er sie ohnehin nie vergessen hätte. Seine Eltern hatten auf strenge Disziplin geachtet, jedes Aufbegehren und erst recht freche Antworten waren auf der Stelle geahndet worden. Er hatte rasch gelernt, seine wahren Gefühle hinter einer stoischen Miene zu verbergen, egal, was seine Eltern ihm vorhielten oder von ihm verlangten. Anderen hätte man vielleicht die siedende Erregung angemerkt, die in ihm brodelte, sooft er an die kleine Donna Doyle dachte, ihm nicht. Niemand konnte etwas von seinen verborgenen Gedanken ahnen, wenn er – schon in die Welt seiner bizarren Träume entrückt – geistesabwesend vor sich hin starrte. Eine Maskerade, die ihm in seiner Jugend viele Schmerzen erspart hatte und ihn nun davor bewahrte, erwischt zu werden.
In Gedanken war er ständig bei ihr, fragte sich, ob sie sich auch wirklich an ihr Versprechen hielt, malte sich aus, wie sie schon vor Aufregung glühte. Mit Sicherheit war sie völlig verändert, seit die Verantwortung auf ihr lastete, ein ihr anvertrautes Geheimnis zu bewahren. Sie mußte keine Zeitungshoroskope mehr lesen, sie wußte ja genau, was die Zukunft für sie bereithielt. Jedenfalls glaubte sie das.
Natürlich konnte sie nicht dieselben Visionen haben wie er, das war ihm klar. Im Gegenteil, ihre und seine Fantasien hatten bestimmt nichts gemein. Abgesehen von der Vorfreude auf den Orgasmus.
Sich vorzustellen, welchen trügerischen Hoffnungen sie sich hingab, ließ ihm ein Schaudern verstohlenen Vergnügens über den Rücken rieseln und
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