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Schlussblende

Schlussblende

Titel: Schlussblende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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was denen alles für Ausreden einfallen, damit sie nicht mit einem Profiler im Pub gesehen werden. Nein, nach meiner Erfahrung ist der wirksamste Trick, den Jungs immer wieder um den Bart zu gehen.«
    Hier und da ein zaghaftes Nicken. Leon schüttelte entsetzt den Kopf. »Auch das noch«, murmelte er vor sich hin.
    »Ich will Ihnen damit kein Patentrezept für die Arbeit eines Profilers an die Hand geben«, fuhr Tony fort, »aber bei mir hat sich das jedesmal bewährt. Im übrigen kann es ja nichts schaden, den ermittelnden Officern zu sagen, daß man ihre Arbeit zu würdigen weiß. Und wenn Sie ihnen das immer wieder sagen – mindestens fünfmal am Tag –, nehmen Sie ihnen die heimliche Sorge, daß sie sich bei ihren Ermittlungen die Hacken ablaufen dürfen, während wir, obwohl wir ja nur ein Täterprofil erstellt haben, am Schluß groß rauskommen. Außerdem werden sie Ihnen um so bereitwilliger die Fakten zur Verfügung stellen, die Sie für Ihr Profiling brauchen. Wenn Sie dann noch die Wahrscheinlichkeiten abgeschätzt haben …« Er grinste breit, um jedem Mißverständnis vorzubeugen. »… ist der Fall so gut wie gelöst.«
    Er stand auf und fing an, die Gruppe mit langen Schritten zu umkreisen wie ein Kater, der sein Revier abschreitet. »Vergessen Sie nie, daß die Abschätzung der Wahrscheinlichkeit ein unerläßlicher Schritt ist. Es sei denn, Sie hätten knallharte Beweise. Allerdings werden Sie weder richtige Abschätzungen noch knallharte Beweise davor bewahren, daß Sie am Schluß womöglich bis über beide Ohren in etwas Unappetitlichem stecken, was gemeinhin schlicht Scheiße genannt wird.«
    Er merkte, daß sein Pulsschlag sich beschleunigte und seine Hände schweißnaß wurden. Dabei war er noch mit keinem Wort auf den Fall des Schwulenkillers zu sprechen gekommen. »Eine Erfahrung, die ich bei meinem letzten großen Fall selbst gemacht habe. Wir hatten es mit einem Serienmörder zu tun, der junge Männer umbrachte. Dank der Zusammenarbeit mit einem brillanten Officer des Kriminaldezernats standen mir alle Fakten zur Verfügung, ich konnte mich also bei der Erarbeitung eines Täterprofils auf bewiesene Tatsachen stützen. Der Officer, von dem ich spreche – eine junge Frau –, hat mir außerdem ein paar interessante Vorschläge gemacht. Einen habe ich nicht berücksichtigt, weil ich der Annahme, auf der er basierte, eine geringe Wahrscheinlichkeit zugemessen habe. Gewöhnlich ordnet das Ermittlerteam der Spur dann eine geringere Priorität zu. In diesem Fall haben die Ermittler die Spur jedoch weiter verfolgt und, wie sich herausstellte, damit recht gehabt. Und dann gab es da noch einen anderen Vorschlag …«
    Es war wieder soweit, die Erinnerungen holten ihn ein. Aber er hatte sich vorgenommen, diesmal durchzuhalten. Und tatsächlich, er schaffte es, sogar leichter, als er gedacht hatte. Und so fuhr er fort: »… bei dem ich spontan abgewinkt habe. Weil mir die Annahmen abwegig erschienen. Alle Erfahrungen mit Serienmördern sprachen dagegen.« Er las in den Gesichtern, wie gespannt die Gruppe auf die Fortsetzung wartete.
    »Diese falsche Einschätzung hätte mich fast das Leben gekostet.« Er wunderte sich selber, wie gelassen ihm das über die Lippen kam. »Und wissen Sie, was? Ich hatte dennoch recht, nicht auf den Vorschlag dieser tüchtigen jungen Frau einzugehen. Weil die Wahrscheinlichkeit, daß ihre Annahme richtig war, irgendwo unterhalb von einem Prozent lag.«
     
    Als feststand, daß unter der Asche tatsächlich eine Leiche gefunden worden war, rief Carol ihr Dreierteam zu einer Besprechung zusammen. Diesmal in ihrem Dienstzimmer – ohne Schokokekse. Tommy Taylor belegte als Sergeant die einzige Sitzgelegenheit, die es außer Carols Schreibtischsessel gab, mit Beschlag. Gewöhnlich hätte er so was nie getan, solange eine Frau stehen mußte, aber er hatte schon lange aufgehört, in Di Earnshaw eine Frau zu sehen.
    »Der arme Teufel«, murmelte Lee Whitebread.
    »Von wegen armer Teufel«, protestierte Tommy. »Er hatte dort nichts zu suchen, oder?«
    Carol merkte, daß es Zeit wurde, einzugreifen. »Sie sind also bereits unterrichtet. Die Frage, ob der Tote etwas auf dem Verladedock zu suchen hatte oder nicht, ist unerheblich. Wir haben die Aufgabe, denjenigen zu finden, der ihn getötet hat, und zwar nahezu unter unseren Augen. Das ist kein Ruhmesblatt für uns. Also, was haben Sie bisher herausgefunden?«
    Lee, an den Schrank gelehnt, machte den Anfang. »Ich hab mir

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