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Schlussblende

Schlussblende

Titel: Schlussblende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Haus den Tatort, bis die Mordkommission eintrifft.«
    Simon sah ihn mit leidenden Hundeaugen an. »Ist das Shaz?«
    Tony nickte. »Ja, das ist Shaz. Tun Sie jetzt, was ich Ihnen gesagt habe, Simon. Und sichern Sie den Hauseingang. Wir brauchen so schnell wie möglich Verstärkung.«
    Er wartete, bis Simon wie ein Betrunkener den Gartenweg hinuntertaumelte, dann drehte er sich um und starrte wieder durch das Fenster auf Shaz’ verstümmelte Leiche. Er hätte viel dafür gegeben, näher an die Tote heranzukommen, um die Szene in allen grauenhaften Details in sich aufzunehmen, ehe andere dabeistanden. Aber er wußte zu gut, wie schnell man an einem Tatort Spuren verwischen kann, um den Gedanken an das Sprossenfenster zu Ende zu denken.
    Er mußte sich mit dem begnügen, was von draußen zu erkennen war. Für viele wäre es mehr gewesen, als sie sehen wollten, für ihn aber war es ein quälend bruchstückhaftes Bild. Zuerst mußte er vergessen, daß die Tote Shaz Bowman war, damit er das Szenario emotionslos, mit innerem Abstand und kühlem, analytischem Verstand in sich aufnehmen konnte. Und wenn er den Officern der Mordkommission von Nutzen sein wollte, mußte er das. Nach ein paar Sekunden fiel es ihm tatsächlich etwas leichter, das Bild der gräßlichen Szenerie nicht mehr mit Shaz zu verbinden. Was wohl auch damit zusammenhing, daß der verstümmelte Kopf, der über die Stuhllehne hinausragte, kaum noch Ähnlichkeit mit einem menschlichen Wesen aufwies.
    Da, wo früher die blauen Augen mit dem zwingenden Blick gewesen waren, sah er nur noch dunkle Höhlen. Rausgedrückt, dachte er mit einer Nüchternheit, die ihn vor ein paar Jahren noch selbst erschreckt hätte. Die abgerissenen Adern, die wie Fäden aus den leeren Höhlen hingen, ließen keinen anderen Schluß zu. Die Spuren angetrockneten Bluts verwandelten das Gesicht in eine bizarre Maske. Der Mund sah aus wie ein verformter, in allen Schattierungen von Rot und Pink bemalter Klumpen Plastikmasse. Es gab keine Ohren mehr. Ein Gewirr aus seltsam starren Haarbüscheln verdeckte die Wunden. Es mußte viel Blut geflossen sein, bevor das Haar so verkrusten konnte.
    Tonys Blick glitt nach unten. An der Brust hing ein Blatt Papier, angesteckt oder festgeklebt. Die Worte konnte er nicht lesen, dazu war er zu weit weg, aber die Zeichnung erkannte er sofort. Die drei weisen Affen. Ein eisiges Schaudern durchlief ihn vom Kopf bis in die Zehen. Für eine endgültige Festlegung war es zu früh, aber dem Augenschein nach hatten sie es nicht mit einem Sexualmord zu tun. Der Schlüssel zu diesem kühl berechneten Verbrechen lag in dem weisen Rat der drei Affen. Das Motiv war nicht sexuelle Lust. Shaz war nicht zufällig ins Visier eines geistesgestörten, wildfremden Mörders geraten. Nein, das hier war eine Hinrichtung.
    »Du hast das nicht aus Lust getan«, murmelte er in sich hinein, »du wolltest ihr eine Lektion erteilen. Und uns ebenfalls. Du willst uns mitteilen, daß du besser bist als wir. Du spielst dich auf, grinst uns hochmütig an, weil du überzeugt bist, daß wir dir nie etwas anhängen können. Und du willst uns sagen, daß wir unsere Nasen nicht in deine Angelegenheiten stekken sollen. Ich hab dich durchschaut, du arroganter Bastard.«weißtext
    Das Szenario offenbarte Tony Dinge, die einem Police Officer verborgen bleiben mußten, weil der gewöhnt war, sich an objektiv feststellbaren Spuren und Beweisen zu orientieren. Ein Psychologe sah etwas anderes: den messerscharfen, zielorientierten Verstand des Täters. Das war eiskalter Mord, nicht das im sexuellen Rausch begangene Werk eines Wahnsinnigen. Woraus Tony den Schluß zog, daß der Mörder in Shaz Bowman eine Bedrohung gesehen hatte. Darum war er so brutal, kalt und methodisch vorgegangen. Noch ehe die Mordkommission eintraf, hätte er den Männern sagen können, daß sie keine Spuren finden würden, die sie zum Täter führen konnten. Die Aufklärung dieses Falles mußte im Kopf erfolgen, nicht im forensischen Labor. »Du bist gut«, murmelte er grimmig in sich hinein, »aber ich werde besser sein.«
    Als das Heulen der Polizeisirenen näher kam, nahm Tony noch einmal die Details des Szenarios in sich auf. Und als es nichts mehr gab, was noch nicht in ihm gespeichert war, wandte er sich um und ging vors Haus. Es wurde Zeit, daß er sich um Simon kümmerte.
     
    »Das wär ja wohl nicht so verdammt eilig gewesen«, knurrte der Polizeiarzt, öffnete seine Tasche und nahm ein Paar Latexhandschuhe heraus.

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