Schmerzlos: Thriller (German Edition)
tu was.«
»Ich hab keinen Hebel. Ev, du musst ziehen.«
»Das tu ich doch!« Mit aller Kraft presste ich meinen linken Fuß gegen die Tür. Draußen heulte Coyote.
Jetzt kletterte meine Mutter um Jesse herum, setzte ebenfalls einen Fuß gegen die Kabinenwand und versuchte, die Tür aufzuschieben.
»Das Montiereisen«, keuchte ich. »Nimm es als Hebel.«
Sie riss es Jesse aus der Hand, stieß es in den fünf Zentimeter breiten Spalt zwischen den Türen und warf sich mit jedem einzelnen ihrer fünfundvierzig Kilo dagegen. Die Kabine bewegte sich noch ein Stück nach unten. Dann gab die Tür ein Stück nach.
Da war mein Bein. Und der Teppich vor dem Fahrstuhl. Darüber Coyotes Gesicht. Und ihre Hand, die meinen Knöchel wie eine Bärenfalle gefangen hielt. Der Spalt wurde allmählich breiter, und sie starrte mich an, als wäre ich die Mahlzeit, auf die sie den ganzen Winter gewartet hatte. Wieder fing sie zu ziehen an.
»Nein, nein.« Ich rutschte aus der Kabine.
Jesse packte mich mit einem Arm und umklammerte mit dem anderen seinen Reifen. »Angie, helfen Sie mir.«
Die Türen schlossen sich wieder, dieses Mal in Höhe meines Knies. Jesse und meine Mutter zerrten jetzt beide an mir.
Als sich der Fahrstuhl mit einem Ächzen in Bewegung setzte, verstärkte Coyote den Griff um meinen Knöchel. Ich schrie, weil ich wusste, was gleich passieren würde. Wenn mein Bein blieb, wo es war, würde der Fahrstuhl es zerquetschen.
»Eins, zwei, drei!«, brüllte Jesse.
Er und meine Mutter rissen gleichzeitig an mir, und plötzlich war mein Knie zu sehen. Dann mein Unterschenkel. Mein Knöchel, den Coyotes Hand immer noch umklammert hielt. Mein Fuß tauchte auf. Jesse hatte das Messer in der Hand.
Ich schloss die Augen. »Mach schon.«
Ich spürte einen Schlag und die Wucht dahinter. Ich spürte Blut und Schmerz. Dann schlüpfte mein Fuß in den Fahrstuhl. Die Kabine taumelte und fiel mit einem Ruck nach unten. Schwankend hing sie an ihren Kabeln, bewegte sich aber stetig nach unten. Ich machte die Augen auf, strampelte wie wild mit den Beinen und zog dann die Knie an. Mein Knöchel hatte Schnittwunden und Blutergüsse, aber er war noch dran.
Jesse wich zurück. Meine Mutter presste sich mit dem Rücken ans Fenster. Ich schob mich langsam zur Fahrstuhlwand. Alle drei starrten wir Coyotes abgetrennte Finger an.
Sie lagen säuberlich in einer Reihe vor uns auf dem Boden. Um sie herum hatte sich eine Blutlache gebildet. Jesse hatte Coyote die halbe Hand abgeschnitten. Er schlug die Hand vor den Mund, um seinen Würgereflex zu unterdrücken.
»Ach du Scheiße«, flüsterte ich.
Dem hatten sie nichts hinzuzufügen.
»Danke, Jesse. Danke, Mom.«
Die Beleuchtung flackerte. Der Fahrstuhl hörte zu brummen auf, fing wieder damit an, wurde aber immer langsamer. Wir starrten auf die Zahlen. Mit einem heftigen Ruck blieb die Kabine stehen und wippte an ihren Kabeln auf und ab. Der Rufknopf klingelte, und die Türen öffneten sich einen Spalt breit. Wir waren auf dem Zwischengeschoss, doch die Kabine hatte fast einen Meter über dem Boden der Galerie angehalten. Wir saßen fest.
Ich drückte auf alle möglichen Knöpfe. Weder die Türen noch der Fahrstuhl bewegten sich auch nur einen Zentimeter.
»Raus hier«, sagte Jesse. »Und dann rennt ihr sofort los.«
»Und was hast du vor?«, fragte ich.
Er rollte nach vorn. Seine Räder passten gerade noch so durch den Spalt. »Ich springe.«
»Und dann?«
»Wir suchen uns einen anderen Fahrstuhl. Oder ich fahr die Treppe runter, oder du nimmst mich huckepack. Irgendwas, aber wir dürfen auf keinen Fall hierbleiben.«
Meine Mutter schob sich an der Wand entlang, so weit wie möglich von der abgetrennten halben Hand entfernt, und lugte aus dem Fahrstuhl.
»Alles klar. Los.« Sie hüpfte hinaus.
Ich wand mich um die blutigen Finger herum und sprang auf den breiten Laufgang des Zwischengeschosses. Die Beleuchtung in der Eingangshalle unter uns spielte immer noch verrückt. Jesse reichte mir das Jagdmesser. Ich entfernte mich ein Stück vom Fahrstuhl und beobachtete, wie er den Rollstuhl in Position brachte. Neunzig Zentimeter waren keine Kleinigkeit. Er würde verdammt hart auftreffen.
»Bist du sicher, dass du …«
»Ganz sicher.« Er hob den vorderen Teil des Rollstuhls an und bewegte sich zentimeterweise auf die Schwelle zu.
Etwas Warmes streifte meine Wange, wie ein Nebelhauch. Der Schuss hallte im Atrium wider. Meine Mutter stürzte zu Boden.
»Ev«, brüllte Jesse.
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