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Schmerzlos: Thriller (German Edition)

Schmerzlos: Thriller (German Edition)

Titel: Schmerzlos: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Gardiner
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keine gute Idee, jetzt allein zu sein.«
    Ihr Gesicht wirkte noch blasser als bei unserem Klassentreffen. Ihre Hände waren mit kleinen Pflastern übersät und wiesen die Blutergüsse und blauen Flecken auf, die für die Haut sehr alter Menschen typisch sind.
    »Nicht in meine Wohnung. Nach China Lake.« Unsere Blicke trafen sich. »Verstehst du, was ich meine?«
    Ich verstand.
    Ich wandte mich an die Polizeibeamtin. »Ab jetzt kümmere ich mich um sie.«
     
    Der Mustang kroch durch den späten Mittagsverkehr. Über den Stromleitungen war der Himmel zu sehen, der von braunen Schwaden durchzogen war. Wir hatten über einundzwanzig Grad, doch Valerie kuschelte sich in ihren Pulli und hatte die Hände in den Taschen vergraben.
    »Soll ich kurz bei deiner Wohnung halten?«, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nach dem Klassentreffen habe ich gar nicht erst ausgepackt. Alles, was ich brauche, ist in meinem Koffer.« Sie lächelte sarkastisch. »Das ist der Vorteil, wenn man unter Verfolgungswahn leidet. Man kann jederzeit flüchten.«
    »Kannst du in ein Flugzeug steigen?«
    »Ja.«
    »Kannst du dir ein Flugticket von Santa Barbara nach China Lake leisten?«
    »Kein Problem. Ich brauche ja keinen Rückflug.«
    Ich machte keine Bemerkung über diesen Geistesblitz und setzte den Blinker, um auf den 101 abzubiegen. Der Verkehr auf dem Highway war zäh. Sehr zäh. Berufsverkehr um ein Uhr nachmittags. Los Angeles ist echt zum Kotzen.
    »Val, hast du noch Familie in China Lake?«
    »Und an dieser Stelle wird sie von ihren Lügen eingeholt.« Sie zuckte mit den Achseln. »Weißt du noch, was ich dir beim Klassentreffen erzählt habe? Dass Vergangenes ruhen soll? Das war alles Mist. Mit meiner Mutter habe ich seit einem Jahr kein Wort mehr geredet. Eigentlich bin ich nach China Lake, um mich mit ihr zu versöhnen, aber dann hab ich kalte Füße gekriegt. Ich habe sie nicht mal besucht.« Ihre bleichen Wangen bekamen etwas Farbe.
    »Kein Kommentar?«, fragte sie nach dreißig Sekunden.
    »Nein.« Ich warf einen Blick in den Rückspiegel. »Macht es dir was aus, über deine Krankheit zu sprechen?«
    »Ich hab seit sechsundfünfzig Tagen nicht geschlafen.«
    »Verdammt.«
    »Ich fühle mich wie ein Uhu oder so was Ähnliches.« Sie starrte durch die Windschutzscheibe. »Aber ich träume, wenn ich wach bin. Manchmal sehe ich eine Aura.« Sie hielt sich eine Hand an die Schläfe. »Wie ein roter Sonnenaufgang am Rand meines Gesichtsfeldes. Und dann habe ich Halluzinationen.« Sie seufzte. »Es ist gar nicht so schlimm. Manchmal bin ich ein Filmstar.«
    »Du wolltest immer Schauspielerin werden.«
    »Ja, und ich habe tatsächlich einen Job mit einem Mikrofon bekommen. Ich musste immer brüllen: ›Putzteam in Gang zwei‹.« Sie grinste. »Und die Jungs sind gesprungen, wenn ich am Mikrofon war, das kann ich dir sagen. Ich war die Primadonna an der Supermarktkasse. Die Wahnvorstellung mit dem Filmstar ist also ganz in Ordnung. Nur schade, dass mir der Verfolgungswahn und ein paar Zwangsneurosen den Spaß daran verdorben haben.«
    Als ich sie anschaute, zeigte sie auf ihre Perücke.
    »Du dachtest, ich würde sie wegen einer Chemo tragen.«
    »Eigentlich schon.«
    »Nein. Es ist wegen der Trichotillomanie. Zwanghaftes Haarausreißen. Ich habe eine Billardkugel aus mir gemacht, Strähne für Strähne.« Sie gönnte ihrer Stimme eine kurze Pause und sprach dann weiter. »Und ich kann keine Schmerzen empfinden. Mein Gehirn löst sich auf, ich gehe vor die Hunde, aber es tut nicht weh. Nichts tut mehr weh. Du kannst mir einen Ziegelstein an den Kopf werfen – ich würde nicht mal mit der Wimper zucken.«
    Sie vergrub ihre Hände noch tiefer in den Taschen. »Warum, glaubst du, trage ich ständig lange Ärmel? Mir ist nicht einfach bloß kalt. Meine Arme sind mit Schnittwunden und blauen Flecken übersät. Ich passe nicht auf, weil ich nichts spüren kann. Deshalb ertrag ich es auch nicht, wenn mich jemand anfasst. Er könnte mich verletzen, und ich würde es nicht mal merken.«
    »Val, das tut mir leid.«
    »Sie haben eine Kernspintomografie gemacht. Dabei wurden Hinweise auf Amyloidablagerungen und spongiforme Enzephalopathie gefunden. Die Ärzte sind ausgeflippt. Dieses Ding ist wie BSE, und sie haben Angst, sich anzustecken. Nachdem sie mich untersucht hatten, mussten sie erst mal beratschlagen, was sie mit ihren Instrumenten machen sollten. Sie hatten schon eine Lumbalpunktion bei mir gemacht und gerieten in Panik. Die

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