Schmerzlos: Thriller (German Edition)
nach?«, fragte Jesse.
»Vielleicht. Valerie klingt, als würde sie unter Verfolgungswahn leiden. Sie hat Angst vor der Polizei und vor irgendwelchen Männern.«
»Willst du wirklich zu ihr fahren?«
»So hat sie keine Chance. Sie funktioniert kaum noch. Ich kann sie dort nicht allein lassen. Außerdem versuche ich schon seit Tagen, mit ihr zu reden. Vielleicht kann ich mit ihrem Arzt sprechen. Oder zumindest mit einem Sozialdienst.«
Ich spielte mit dem Handy in meiner Hand.
»Willst du die Polizei anrufen?«, sagte er.
»Das FBI. Heaney kann die Polizei schneller dort hinbeordern als ich.«
Die Northridge Road war eine etwas heruntergekommene Durchgangsstraße, an der sich Geschäfte, Second-Hand-Läden und Matratzenlager drängten. Vor dem Café parkte ein Streifenwagen. Ich hatte eine Stunde und drei Minuten hierher gebraucht. Dass es bloß ein einziger Streifenwagen war, war hoffentlich ein gutes Zeichen.
Als ich das Café betrat, warf mir die Kellnerin einen besorgten Blick zu und deutete auf die andere Seite des Restaurants. Valerie hockte in einer ruhigen Ecke, so weit wie möglich von der Polizeibeamtin entfernt. Sie trug einen schwarzen Kapuzenpulli und wirkte wie ein in die Enge getriebenes Kaninchen.
»Val.«
Ihre Augen leuchteten auf. »Ich hab nicht geglaubt, dass du tatsächlich kommst.«
Ich setzte mich neben sie. Als ich ihr die Hand auf den Arm legte, zuckte sie zusammen, als hätte ich sie mit einem heißen Eisen berührt.
»Tut mir leid.« Sie rieb sich den Arm und schielte mich verstohlen an. »Leute, die mich anfassen, machen mir Angst.«
»Val, ist alles in Ordnung mit dir?«
Sie starrte auf den Tisch. »Mir geht’s gut. Ich benehme mich nur wie ein Kind.«
»Nein, das tust du nicht.«
»Doch. Meine E-Mail wird nicht angezapft. Und in meinem Briefkasten steckt auch keine Kamera, die mich überwacht.«
»Ich bin froh, dass du das sagst.«
Das brachte sie zum Grinsen. »Stattdessen überwachen sie dich und deinen Ritter im Rollstuhl.«
Ich wurde etwas ruhiger. Wenn sie ihre Verlegenheit mit Humor überspielen konnte, war sie noch nicht ganz am Ende. Die Polizeibeamtin winkte mich zu sich. Ich entschuldigte mich und folgte der Frau, bis Valerie uns nicht mehr hören konnte.
»Sie ist vor einer halben Stunde hier aufgetaucht, völlig verwirrt, mit diesem kleinen Koffer da in der Hand.« Sie wies auf einen Rollkoffer, der neben dem Tisch stand. »Sie weigert sich, ins Krankenhaus zu gehen. Und anfassen lässt sie sich von mir auch nicht. Eine Kellnerin ist nah genug an sie rangekommen, um ihr Notfallarmband lesen zu können. Wir haben die Telefonnummer ihres Arztes ermittelt und warten jetzt auf seinen Rückruf.«
»Sehr gut.«
»Ich bringe mich hier in eine prekäre Lage, weil ich keinen Notarzt gerufen habe.«
Ich senkte die Stimme. »Sie ist nicht verrückt, sondern unheilbar krank.«
»Das sieht man.«
»Aber ich bin mir wirklich nicht sicher, ob wir es hier mit einer Krise zu tun haben, die es rechtfertigt, sie in die Notaufnahme zu verfrachten.«
»Seit ich hier bin, hat sie ein paar Tabletten geschluckt und sich wieder beruhigt. Jetzt scheint sie nur noch verlegen zu sein.«
Hinter uns klingelte ein Telefon. Valerie holte ein Handy aus ihrer Handtasche und nahm das Gespräch an.
»Ja, ich hatte einen Schub.« Sie setzte sich aufrechter hin. »Nein, stressbedingt, jetzt bin ich wieder okay. Ich habe die Dosis verdoppelt.« Ihre rotbraune Perücke schimmerte im Kunstlicht. »Nein, keine Aura … Nein, Dr. Herron. Ich muss nicht ins Krankenhaus.«
Die Polizistin blickte besorgt drein. »Mein Vorgesetzter hat mich darüber informiert, dass ihr jemand nachstellt.«
»Das ist gut möglich.«
Ich gab weiter, was Valerie mir erzählt hatte. »Sie hat gesagt, ein Auto sei ein paarmal vor ihrem Appartementgebäude auf und ab gefahren.«
Die Polizistin sah in ihren Notizen nach. »Grüner Kombi, älteres Baujahr. Ein Familienauto.« Sie schaute mich fragend an. »Was denken Sie?«
Das hörte sich wie Becky O’Keefes Volvo an, der in den letzten vierundzwanzig Stunden etwa zweihundertmal im Fernsehen gewesen war. »Lassen Sie mich mit ihr reden.«
Ich ging zurück zu Valeries Tisch.
Sie legte gerade ihr Handy weg. »Es ist immer noch so wie früher. Die Primadonna postiert sich im Mittelpunkt, indem sie sich wie eine Verrückte benimmt. Jedenfalls hab ich immer noch ein Publikum.«
»Willst du zu deinem Arzt?«
»Nein. Ich will nach Hause.«
»Ich halte es für
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