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Schmerzspuren

Titel: Schmerzspuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Ich hatte ihn mir eigentlich ein bisschen cooler vorgestellt. Auch älter. Er trägt graue Stoffhose und blaues T-Shirt. Aber wenn ich Tom und Benny so ansehe, wirken die mit ihren Polo-Shirts auch nicht gerade wie die rockenden Partyhengste. Max ist ein bisschen blass. Und das will bei der Beleuchtung bei uns im Keller echt was heißen. Wir spielen ihm unser ganzes Repertoire vor. Ich komme mir ein bisschen vor wie ein Sklaventreiber. Tom und Benny neigen dazu, immer langsamer zu werden. Ich trommle die beiden richtig nach vorn, damit nicht jeder Song in einem Blues endet. Ein bisschen atemlos frage ich Max zum Schluss:
    »Und? Wie findest du’s?«
    »Wummert ganz gut. Wie nennt ihr euch eigentlich?«
    Tom spielt mit seinem Verstärkerkabel. »Das ist ein Problem. Wir haben noch keinen Namen.«
    Problem? Der spinnt wohl. Was soll der Scheiß? Ich klinge ein bisschen lauter als beabsichtigt.
    »Quatsch Problem. Wir wollten einfach damit warten, bis alle an Bord sind. Damit hinterher keiner rummeckert. Außerdem ist der Inhalt wichtiger als die Verpackung.«
    »Klingt fair«, findet Max.
    »Willst du vielleicht mal was singen, damit wir deine Stimme hören?«, fragt Benny ganz vorsichtig.

    Für ein paar Songs haben wir die Textblätter dabei. Ich bin überrascht. Dieser Max sieht vielleicht aus wie 13 und ein bisschen clearasilbedürftig. Aber er klingt wie ein Großer. Echt röhrig.
    »Fett«, findet Benny nach ein paar Songs.
    »Du bist dabei«, entscheide ich spontan.
    Max nickt nur kurz. Sehr gesprächig ist er nicht gerade. Aber ist ja auch egal. Hauptsache, er kann singen. Ich suche ja niemanden zum Quatschen. Eigentlich sind wir schon fertig für heute. Plötzlich geht die Tür auf. Meine Mutter steht da - original mit einer Flasche Fanta und vier Gläsern.
    »Für euch«, sagt sie kurz und ist schon wieder draußen.
    Wie peinlich. Warum hat sie nicht gleich noch ein paar Kekse dazugelegt? Oder ein paar klein geschnittene Brote? Wieso nicht gleich warmen Kakao und Lutscher?
    »Wir sollten vielleicht auch nach einem vernünftigen Probenraum gucken«, sage ich spontan. Benny und Tom schauen irritiert.
    »Ist doch gut hier«, findet Tom.
    »Die Akustik ist für’n Arsch. Außerdem haben meine Eltern sich schon über den Lärm beschwert«, lüge ich.
    »Im Keller des Jugendhauses stehen Probenräume leer«, sagt Max.
    »Perfekt«, freu ich mich.
    »Ich frag die Biene mal, ob wir da rein können.«
    »Ach ja, die flotte Biene«, grinse ich.
    »Das ist ihr Spitzname. Kommt von Sabine«, sagt Max trocken.
    Heute bleibt mir echt keine Peinlichkeit erspart.

    Am liebsten würde ich noch mit dem Board losziehen. Am allerliebsten in die alte Halle. Das schaffe ich aber heute nicht mehr. Ich verziehe mich lieber mit meinem Mathebuch an den Schreibtisch. Wenn ich alle Aufgaben bis zum nächsten Kapitel durchrechne, kann ich mir morgen mal wieder einen ganzen Nachmittag auf dem Board gönnen. Als ich um halb elf ins Bett falle, schießen Vektoren wie Pfeile durch meinen Kopf. Von einer Wand zur andern. Immer hin und her, manchmal habe ich das Gefühl, einer bleibt von hinten in meinem Augapfel stecken. Ich träume von wütenden Indianern, die ihre Pfeile gegen eiserne Ritterrüstungen schießen. Und die Pferde trotten mit starrem Blick im Kreis.
     
    In der Halle setze ich sofort den Kopfhörer auf. Ich hör hier immer dieselben zwölf Songs. Mache immer nach dem siebten Lied eine Pause. Es ist ein Konzertmitschnitt von so einer Berliner Combo, die Philipp mal auf You Tube entdeckt hat. Ein bisschen Punk und ein bisschen Blue-Man-Group. Einfach fett. In einer Ecke sind ein paar Flaschen Cola deponiert. Außerdem habe ich mir eine kleine Wippe gebaut. Einfach ein breites Brett, das ich draußen gefunden habe, über ein dickes Kantholz gelegt. An dem Haken, der an der dicken Eisenkette baumelt, hängt eine alte Kuhglocke, die meine Eltern im Keller hatten. Wenn ich auf dem Brett kurz hochspringe, komm ich mit dem ausgestreckten Arm dran. Außerdem gibt es einen Licht-Slalom. Auf der Längsseite fällt alle paar Meter ein Strahl auf den Boden. Das sind zwar super enge Radien, aber es ist wie ein Tanz zwischen leuchtenden Staubkörnern.
Eigentlich würde ich das ja mal ganz gern jemandem zeigen. Tom und Benny kommen nicht infrage. Das sind die absoluten Freizeit-Skater. Die stellen sich auf ihre Dinger und lassen sich dorthin rollen, wo das Board hin will. Meistens tragen sie das Brett oder stehen nur gelangweilt drauf rum.

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