Schmerzspuren
Ich glaube, die haben Angst vor Geschwindigkeit. Letztes Jahr waren wir zusammen auf einer Ski-Freizeit. Ich hatte mich echt drauf gefreut, mit den beiden ein bisschen Snowboard zu fahren. Mal richtig Strecke machen. Aber Tom und Benny gehören zu den Typen, die erst mal ein paar Stunden auf der Strecke rumhängen, ehe sie sich das Board ans Bein binden. Ewig lange haben die auf der Piste gesessen und dummes Zeug geredet. Da bin ich ja noch lieber mit Philipp gefahren, obwohl der Ski fährt. So richtige Alt-Herren-Bretter. Nichts mit carven oder so. Philipp konnte super Ski fahren. Aber er war so ein Schönfahrer. Kein Heizer. Außerdem ist es doof, mit einem Skifahrer zu liften, wenn man selber ein Board unter den Füßen hat. Dafür hat Philipp nicht so ein dummes Zeug geredet. Vielleicht fährt Max ja auch Skateboard. Wär cool, wenn ich ihm mal die Halle zeigen könnte. Oder sogar irgendwann die alte Telegrafenstation. Dahin haben wir mal einen Klassenausflug gemacht. Die andern fanden den brüchigen Turm total langweilig. Philipp und ich waren fasziniert. Früher hat man mit solchen Stationen echt Nachrichten übermittelt. Mit Seilen wurden Holzpinne bewegt, die außen wie so riesige Antennen angebracht waren. Einen Antennenarm mit drei Holzklappen konnte man sogar noch bewegen. Philipp und ich haben das mal versucht. Er war in dem alten Turm und ich bei uns auf
dem Dachboden. Ich sollte mit Betttüchern winken, um zu antworten. Mit dem Fernglas konnte ich genau sehen, wie sich erst alle Holzpinne wild bewegten, bevor einer krachend runterfiel. Ich konnte auch Philipp sehen, der im Schweinsgalopp abgehauen ist. Der Turm ist trotzdem cool. Wir waren noch ein paar Mal da.
Ich rieche es sofort. Ich habe die Haustür noch nicht ganz auf, da sagt mir meine Nase: Es gibt Moussaka. Meine Mutter macht die mit Abstand beste Moussaka nördlich von Griechenland. Dicke Schwaden von Knoblauch und Käse wabern durch alle Räume. Sie hat das Rezept aus irgendeinem Urlaub mitgebracht und einmal im Jahr kramt sie es raus. Ich stürme in die Küche und teile ihr mit: »Ich deck schon mal den Tisch.«
Sie freut sich. Das sehe ich sofort. Und ich freu mich, dass sie sich freut. Eine Stunde später sitzen wir drei vor einer leeren Auflaufform und stöhnen. Meine Mutter macht jedes Mal eine riesige Portion, damit sie noch was einfrieren kann, und dann essen wir alles auf. Wir kratzen unsere letzten Kräfte zusammen und schleppen uns ins Wohnzimmer vor den Fernseher. Meine Mutter wuselt in meinen Haaren rum. Sie hat selber total kurze, da ist nichts mit wuseln. Ich werde ganz schläfrig, rolle mich auf der Couch zusammen.
»Was ist das?«
Ich war eine Millisekunde vorm Abtauchen. Die laute Frage meiner Mutter holt mich zurück. Sie fährt mit dem Zeigefinger die Narbe in meiner Hand nach. Nur noch ein Schnitt von der Glasscheibe ist zu sehen. Ein roter Strich, noch leicht verkrustet, leuchtet auf der Haut.
»Ich hab mich geschnitten«, sage ich, balle die Faust und setze mich gerade.
Sie kann echt alles kaputt machen.
»Den hier könntet ihr nehmen. Ist doch nicht übel, oder?«
Biene hat die Tür zu einem kleinen Kellerraum aufgeschlossen und klingt ein bisschen stolz. Es riecht so, als wäre hier drin sehr viel geschwitzt und sehr wenig gelüftet worden. Wie auch? Das kleine Fenster geht zu einem dunklen Schacht, in dem kniehoch Laub liegt. An den Wänden hängen ein paar kaputte Poster, in einer Ecke steht ein wackliger Stuhl. Ein bisschen zellenartig.
»Ist das der Hausknast?«, frage ich grinsend.
»Ihr müsst den Raum nicht nehmen, wenn ihr was Besseres habt.«
Die Biene ist eingeschnappt. Natürlich ist der Keller bei meinen Eltern besser. Keine Frage. Aber er ist eben bei meinen Eltern. Und das nervt mich.
»Nein, nein. War ein Witz. Ist super hier. Echt. Wir nehmen ihn!«, sage ich schnell. Die andern drei Jungs sagen nichts. Max lehnt mit verschränkten Armen an der Wand. Benny und Tom sind gar nicht richtig mit reingekommen. Sie gucken mich leicht panisch an. Biene gibt mir den Schlüssel.
»Wenn ich mitbekomme, dass hier unten Unsinn gemacht wird, seid ihr draußen. Eine Dose Bier, eine Zigarette oder so was und das war’s. Dass das klar ist.«
Sie schiebt ab und fegt mit ihrem Rocksaum den Staub vom Boden.
»Das ist nicht dein Ernst.«
Tom guckt mich erstaunt an.
»Klar. Das ist ein richtiger Probenraum. Wir müssen nicht mehr zwischen der Bügelwäsche von meiner Ma und Unmengen von
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