Schmerzspuren
mehr, warum, aber ich bin runter in den Keller gegangen. In den kleinen Keller, wo mein Kicker steht. 10:6 war das letzte Spiel ausgegangen. Ich kann mich noch dran erinnern. Das war gegen Philipp. Und sechs Tore waren für ihn echt schon Weltklasse. Am Anfang konnte er nichts. Der hat an den Stangen gekurbelt wie ein Mädchen. Ich habe ihm dann ein paar Tricks gezeigt, einmal habe ich ihn erwischt, wie er heimlich mit meinem Vater trainierte. Gewonnen gegen mich hat er nie. Wird er jetzt auch nicht mehr.
Auf der Werkbank meines Vaters habe ich dann eine coole Stabtaschenlampe gefunden. Und einen Schlüssel aus Plastik. So ein albernes Werbeteil, habe ich erst gedacht. In dem Schlüssel ist eine Klinge. Mit einem kleinen Knopf kann man die nach oben schieben. So ein Quatsch. Was macht man mit einem scharfen Schlüssel? Soll man damit zustechen, wenn man gerade beim Haustüraufschließen überfallen wird? Auf jeden Fall war die Klinge echt scharf. Ich hab erst einem der Kicker die Augen ausgeritzt. Dann einen Strich gezogen. Zwischen zwei Sommersprossen auf
meinem linken Arm. Einen feinen, roten Strich. Es tat gar nicht so weh. Eigentlich fast überhaupt nicht. Jetzt schon ein bisschen. Ich muss es mir immer wieder ansehen. Zusammen mit den Sprossen sieht es aus wie ein Geteilt-Zeichen. Oder Prozent. Ich schiebe den Ärmel wieder runter. Aber immer wieder muss ich nach der Narbe tasten.
Bin ich ein Psycho? Völlig neben der Spur? Andere kippen sich mit Alk zu. Geht es denen besser? Wohl kaum.
Benny guckt stolz.
»Bei unserem Bandnamen müssten wir doch auch einen Song übers Fahren haben, oder?«
Ich versuche, mit meinen Stöcken zu jonglieren, und warte darauf, dass die Tür aufgeht. Lea ist noch nicht da. Mittlerweile gehört sie zur Probe wie der unnatürliche Geruch in dem Raum.
»Fahren?« Max guckt Benny irritiert an. »Ich singe ganz bestimmt keine Fernfahrersongs oder so einen >On-theroad<-Country-Kack.«
»Natürlich nicht,.« Benny guckt beleidigt.
»Ich habe einen Songtext geschrieben. Aber wenn es euch nicht interessiert, können wir ja weiter einfach stumpf andere Hits nachspielen.«
»Zeig mal«, fordere ich ihn auf. Ich finde eigene Songs tausendmal besser als dieses ewige Nachäffen.
Benny verteilt Zettel. Max fängt an zu singen, sucht eine passende Melodie. Benny und Tom versuchen einzusteigen. Ganz langsam kristallisieren sich Refrain und Strophe raus. Gerade als die Tür aufgeht und eine abgehetzte Lea reinkommt, setzt Max ein.
Wir sind auf der Straße zu Haus,
wollen nur raus, raus, raus.
Dreh die Musik laut,
setz die Sonnbrille auf,
lass dem Leben seinen Lauf.
Dann kommt die erste Strophe:
Wir haben das Rumsitzen satt,
gucken noch einmal zurück,
drehen jetzt laut auf 5000 Watt,
hinter uns liegt kein Glück.
Benny und Tom wechseln sich mit Soli ab, dann singt Max immer nur noch »Heute fängt die Zukunft an« und dann immer nur noch »Fun, fun, fun«. Vielleicht singt er auch »Fahren, fahren, fahren«. So genau kann ich ihn nicht verstehen. Ist auch nicht so wichtig. Und dann geht es wieder los mit »Wir sind auf der Straße zu Haus.«
Lea setzt sich nicht, hat sogar aufgehört, SMS zu lesen. Sie ist sichtlich begeistert. Ich bin es auch. Unser erster richtiger Song. Max wird mutiger, lauter. Lea bewegt vorsichtig die Lippen. Ich verhaue mich. Lea als Sängerin, das wäre einfach so geil. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, setzt sie sich auf ihren Stuhl. Abends im Bett schiebt sich immer wieder dieses Bild hinter meine Lider. Ich sehe Lea vorn neben Max am Mikro stehen. Ich will Max gar nicht loswerden. Er soll unser Sänger bleiben. Er ist gut, vielleicht ein bisschen zu lethargisch. Aber Lea könnte ihn unterstützen.
Vielleicht ein bisschen Background. Lea könnte uns einfach eine raue Seite geben. Wir sehen immer noch so brav aus. Ein bisschen wie die Deutschrock-Abteilung von »Jugend musiziert«. Aber ich weiß auch, wenn ich vorschlage, Lea mit in die Band aufzunehmen, heißt es gleich, ich wär in sie verknallt. Was wirklich totaler Quatsch ist.
Ich wache frühmorgens auf und habe das Gefühl, überhaupt nicht geschlafen zu haben. Am Himmel ist gerade Schlüsselübergabe zwischen Mond und Sonne. Im Garten leuchtet das viel zu große Planschbecken. Könnte auch das Setting für einen Bunter-Wohnen-Werbeclip sein. Ich setze mich an den Schreibtisch und meine Finger spielen mit dem Plastikschlüssel. Immer wieder schiebe ich das scharfe Metall hoch und
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