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Schmerzspuren

Titel: Schmerzspuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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ignoriere, dass meine Beine irgendwann nicht mehr wollen. Ich renne weiter. Es ist noch weit. Der Herz pumpt und schlägt wie ein Dampf hammer. Ein guter Rhythmus. Mein Magen krampft sich zusammen. Als ich zu Hause ankomme, muss ich fast in unseren Vorgarten kotzen. Die Wut ist aber ein kleines bisschen stumpfer.
     
    Mein Vater sieht aus, als würde er jeden Moment platzen. Sein Gesicht hat die Farbe einer überreifen Tomate. Wahrscheinlich sehe ich genauso aus.
    »Gut, dass du da bist. Hilf mir mal pumpen«, ächzt er.
    Ich folge ihm in den Garten und stehe vor einem überdimensionalen Planschbecken. Eigentlich ist das eher ein Swimmingpool. Dabei ist das Ding noch nicht mal ganz aufgepumpt. Schon jetzt ist die Hälfe unseres Gartens von dem bunten Monster bedeckt.
    »Woher habt ihr das Teil?«
    »Hat Oma gewonnen. In einem Preisausschreiben. Und weil es nicht auf ihren Zweiquadratmeter-Balkon passt, hat sie gnädigerweise uns den Pool geschenkt.«
    »Warum macht sie denn mit, wenn sie den Preis eh nicht gebrauchen kann?«, will ich wissen.
    Mein Vater grinst.

    »Sie sagt, sie hätte einfach nicht damit gerechnet zu gewinnen.«
    Super Logik.
    Ich ziehe mein T-Shirt aus und pumpe. Nach einer halben Stunde fallen mir fast die Arme ab, prall ist das Teil immer noch nicht. Meine Mutter bringt uns was zu trinken.
    »Mama, wir brauchen keine Apfelschorle. Wir brauchen Elektrolyte. Mineralien. Salze.«
    Sie weiß, was ich meine.
    »Du meinst, all das, was deiner Meinung nach in Pommes und Hamburgern ist?«
    »Genau. Du hast es.«
    Sie tut es wirklich. Als sie nach einer Stunde mit der braunen Papiertüte kommt, fallen mein Vater und ich über das Junkfood her. Dafür steht auch der Pool. Eigentlich ist jetzt fast unser ganzer Rasen unter Plastik verschwunden. Aus einem Flugzeug wird es wie ein Freibad aussehen. Mein Dad lehnt völlig groggy an einem Stuhl. Ich weiß nicht, wann er das letzte Mal so lange zu Hause und nicht am Laptop war.
    »Dann musst du nicht mehr so viel mähen«, versuche ich meinen Vater zu erfreuen.
    »Stimmt. Und im Herbst können wir gleich neuen Rasen säen, weil wir eine große braune, matschige Fläche im Garten haben werden«, stöhnt er.
    »Der ist echt noch größer, als ich dachte«, stellt meine Mutter fest und lutscht an ihrem Smarties-Eis.
    »Wir können ihn ja nur mal ab und zu bei richtig tollem Wetter aufblasen«, ist ihr genialer Vorschlag.

    Mein Vater und ich gucken uns an und verabreden uns schweigend, nichts zu sagen. So eine Idee können echt nur Frauen haben.
     
    Noch zwei Tage später kriege ich die Arme kaum hoch. Was beim Schlagzeugspielen kacke aussieht. Ich beiße die Zähne zusammen, habe keine Lust, dass Lea mich für einen Schluffi hält. Pünktlich zu unserer Probe stand sie auch im Jugendhaus. Ohne zu fragen, ist sie mit runtergekommen, hat sich wieder auf den wackligen Stuhl gesetzt und zugehört. Manchmal steht sie auf, dreht den Stuhl um und setzt sich falsch rum drauf. Dann klopft sie den Takt mit ihren Händen auf der Lehne. Sie hat schöne Hände. Ohne dicke Klunkerringe mit buntem Glas oder so einen Mist. Und ohne diese Schaufelfingernägel.
    Als wir nach der Pause weitermachen wollen, ist sie weg.
    Ich frage Max, wo seine Freundin hin ist.
    »Das ist nicht meine Freundin. Kenn sie nur flüchtig von der Penne.«
    Das wollte ich hören.
     
    Mein Füller rutscht in meiner Hand hin und her. Ich öle am ganzen Körper. Dabei ist es im Klassenzimmer eigentlich kühl. Vor mir liegt die nächste Mathearbeit. Ich streife zum x-ten Mal meine feuchte Hand an der Jeans ab. Jetzt gilt es. Ich trinke noch schnell einen Schluck Cola, bin so müde. Hab die halbe Nacht gerechnet, bin alle Übungsaufgaben noch einmal durchgegangen. Ich seh von hinten, wie Johanna auffällig unauffällig den Ärmel von ihrer Bluse hochschiebt. Auf den Unterarm hat sie sich irgendwas geschmiert,
wovon sie hofft, dass es ihr hilft. Sie hat auch schon ziemlich geschwitzt. Die Hälfte mindestens ist verwischt. Ich starre wieder die erste Aufgabe an. Ich weiß, dass ich es kann. Nach einer halben Ewigkeit fängt meine Hand an zu schreiben.
    »Fünf Minuten noch«, höre ich irgendwann. Ich bin bei der letzten Aufgabe. Zeit zum Nachrechnen werde ich nicht mehr haben. Muss eben so alles stimmen. Als ich das Heft abgegeben habe, tut mir der ganze Körper weh. Als hätte ich stundenlang in einer Holzkiste gesessen. Ich muss raus. Ich muss mich bewegen. Wie in Trance gehe ich ins Sekretariat, melde mich

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