Schmerzspuren
spielen. Immerhin. Ich hänge mich anschließend ans Telefon, sage den andern Bescheid. Ich muss ewig auf Tom einquatschen, damit der dafür sein Handball-Training schwänzt. Wie mich das ankotzt. Immer muss ich alle antreiben. Und dabei natürlich auch noch nett sein.
Als ich am Montag aus der Schule komme, renne ich im Flur direkt in drei große Umzugskartons.
»Ziehen wir aus?«
Meine Mutter kommt staubig aus dem Wohnzimmer.
»Nein, wir renovieren. Schon vergessen?«
Das Wohnzimmer sieht aus wie auf links gezogen. Als sei eine Flutwelle durch die Türen und Fenster gekommen und hätte alles mal eben angehoben und woanders hingespült. Das Zimmer sieht größer aus und tot. Ich trage ein paar Kisten mit Büchern und Nippes in den Flur und verziehe mich nach oben. Irgendwie ist mir hier oben plötzlich auch alles ein bisschen fremd. Als würde ich das Haus zum ersten Mal richtig sehen. Als wäre ich zu Besuch hier. Mein Zimmer kommt mir plötzlich so klein vor, der Flur enger. Ich zieh schnell die Jacke wieder an. Erklär meiner Mutter, dass wir heute Probe haben, und fahr zum Jugendhaus. Sie ist zu sehr in einen Nahkampf mit einem Teppich verstrickt, um zu antworten.
Natürlich bin ich viel zu früh da. Ich setze mich oben hin, kippel mit meinem Stuhl und gucke mich um. Viele Gesichter kenne ich schon. Wenn wir Pause machen, trinken wir hier im Cafe meistens was. Sabine kommt vorbei.
»He, was macht die Kunst? Ich habe den Eindruck, ihr werdet immer lauter.«
»Wir werden sogar immer besser«, lache ich.
Sie erzählt, dass zwei Kids nachgefragt hätten, was da unten immer für eine Band probt. Die waren wohl echt begeistert.
»Du meinst, wir haben schon Groupies?«, frage ich grinsend.
»Offenbar seid ihr auf dem Weg. Wir können ja mal einen Termin für eine Autogrammstunde vereinbaren«, schlägt sie vor. Sie geht weg und kommt mit einer Cola zurück.
»Geht aufs Haus.«
Ich könnte hier noch drei Stunden sitzen und einfach nichts machen.
Der Dienstag liegt breit und leer vor mir. Die Probe ist ja abgesagt. Meine Mutter jongliert zu Hause mit Farbdosen und verbreitet Chaos. Sie hat kurzerhand beschlossen, auch gleich noch eine Wand in der Küche zu streichen, und faselt was von »Wischtechnik«. Ich fürchte, es wird die nächsten 30 Tage keine warme Mahlzeit mehr geben in diesem Haus. Normalerweise würde ich sofort zu Philipp gehen. Die Mutter war eine Super-Köchin. Mein Skateboard guckt mich traurig an. Ich bin echt ein schlechter Freund. In letzter Zeit war ich mit ihm nur noch unterwegs, um von A nach B zu kommen. Richtig gefahren bin ich nicht mehr. Das wird sich heute ändern. Ich schnappe es mir und bin raus. Auf direktem Weg zu meiner alten Halle. War ewig nicht da. Auf einmal werde ich richtig fickerig. Ich freue mich auf Runde um Runde um Runde. Mit lauter Musik auf den Ohren. Ich nehme die Abkürzung und lande direkt vor dem kaputten Fenster. Die Plane flattert hektisch im Wind. Ich höre ein surrendes Summen. Das typische Geräusch, wenn kleine Räder schnell über Beton rollen.
Es klingt so gut. Aber komisch. Wieso kommt es aus meiner Halle? Ich gucke durchs Fenster und sehe drei Typen. 15 oder 16. Vielleicht auch jünger, die Kippen machen sie älter. Ab und zu fährt einer von ihnen eine oder zwei Runden. Meistens hängen sie ab, werfen sich dumme Sprüche zu.
Mir wird ein bisschen flau. Ich rolle langsam vorn zur Tür, hab gesehen, dass die nur angelehnt ist. Sie kreischt, als ich sie öffne. Sechs Augen gucken mich an.
»Hi. Gute Anlage, was? War lange nicht hier«, sage ich fast freundlich.
Ich kann beinahe sehen, wie sich meine Worte ihren Weg bahnen. Durch die Ohren, vorbei an Bergen von Schmalz, mühsam den Berg hoch ins Gehirn. Sie wabern durch ein paar leere Räume, bis sie endlich in einer kleinen Schaltzentrale ankommen.
Der am wenigsten Verpickelte von dem Trio spuckt auf den Boden.
»Du warst lange nicht hier? Das war eine gute Entscheidung. Du hast hier nämlich nichts verloren.«
»Das ist nämlich unser Court«, behauptet sein Kumpel.
Ich stelle mir vor, wie ich ganz langsam auf ihn zugehe und ihm ohne Vorwarnung mit meiner Stirn eine Kopfnuss gebe. Er würde wie ein Baum nach hinten fallen. Ich höre fast, wie sein Hinterkopf dumpf auf den Betonboden aufklatscht. Dann würde ich mich auf mein Board stellen, auf den Pickellosen zurollen, im letzten Moment vor ihm abspringen und ihn direkt zwischen die Beine treten, ehe ich wieder lande. Geil wäre
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