Schmerzspuren
umcovern kann. Das ist nicht mehr einfach nachgespielt. Das ist unsers. Aus Spaß versuchen wir es sogar mit »Die Affen rasen durch den Wald«. Dabei rast Max die ganze Zeit über die Bühne. Das heißt, er rennt in unserem Probenraum von der rechten zur linken Wand. Der Raum ist nicht sehr groß und Max sieht aus wie ein wild gewordener Hamster in seinem Käfig. Allein das ist schon lustig, dabei singt er aber mit einer total tiefen Rammstein-Stimme. Ich wollte ihm erst vorschlagen, dass er uns bei dem Song mit meinem Skateboard umrundet. Doch ich habe Angst, dass er mir damit in mein Schlagzeug rast und zwischen den Tom-Toms landet. Wenn ich von den Proben nach Hause komme, bin ich vom Lachen und Anfeuern total heiser und groggy. Alles in
mir schwingt. Ich freue mich so tierisch auf unsern Auftritt. Alle werden denken, dass wir so eine langweilige Vorstadtband sind, die musikalische Früherziehung mit Verstärkern macht, und dann rocken wir ab.
Langsam verblasst auch der Moment, als Lea vorsichtig ihre Finger auf meine Narben legte. Ich hatte mich völlig vergessen und die Ärmel verschwitzt hochgeschoben. Zwischen zwei Songs hatte Lea irritiert geguckt, dann vorsichtig auf die roten Striche gefasst. Ich war nicht schnell genug gewesen.
»Was ist denn da passiert?«
Aus den Augenwinkeln hatte ich auch Toms entsetzte Blicke gesehen.
»Da habe ich mich am Grillrost verbrannt. Tat gar nicht so weh. Allerdings hat es total nach verbranntem Fleisch gestunken. Widerlich«, sage ich schnell.
»So wie wenn Rinder ihr Brandzeichen kriegen?«, fragt Benny blöd.
»Ich weiß nicht, wie angekokelte Bullen riechen«, gebe ich zurück.
Lea hat sich schon abgewandt.
Als ich nach Hause komme, ziehen dicke Rauchschwaden durchs Wohnzimmer. Mein Vater steht mit einem Kehrblech wedelnd vorm Grill. Als die Kohle endlich glüht, stelle ich mich neben den Grill und vergleiche. Die Narben auf meinem Arm sind wirklich fast im selben Abstand wie die Stäbe am Rost. Wenn ich mir die jetzt andersrum auf den Arm legen würde, hätte ich ein hübsches Schachbrettmuster. Ich wende mich ab.
Woher kommen diese Gedanken? Wie kommen die in meinen Kopf? Und vor allem: Wie kommen die da wieder raus?
Meine Mutter rennt ungefähr siebzehnmal zwischen Küche und Terrasse hin und her, bis alles auf dem Tisch steht, was ich gern mag. Sogar eiskalte Cola.
Zum Nachtisch hat meine Mutter eine Überraschung. Wir fahren dieses Jahr nicht in Urlaub. So direkt sagen die beiden das natürlich nicht. Meine Mutter quatscht ungefähr eine Schulstunde lang auf mich ein. Sie will ihre Urlaubstage nehmen, um zu einer Weiterbildung nach Süddeutschland zu fahren. Papa könnte sich aber in der Zeit zumindest ein paar Tage freinehmen. Das würde bestimmt ganz toll. Papa und ich könnten zusammen Radtouren oder mal eine Schiffstour machen. Wir wären ja ewig nicht im Opel-Zoo gewesen. Außerdem hätte in der Gegend ein neuer Klettergarten eröffnet.
Ich sage einfach nichts dazu. Meine Eltern ereifern sich immer weiter. Ob nicht in den Sommerferien immer ein großes Open-Air-Konzert am Main sei. Vielleicht könnten wir ja auch übers Wochenende an den Chiemsee, um Mama da zu besuchen.
»Ich glaube, da kann man sogar surfen«, behauptet mein Vater.
Mir ist völlig egal, ob man da surfen oder paddeln oder übers Wasser laufen kann. Im Opel-Zoo war ich zum Abschluss der Grundschule und das hat mich damals schon gelangweilt. Affen beim Vögeln zuzugucken, ist nicht mein Ding. Mein Vater boxt mich leicht auf den Oberarm.
»Was meinst du? Schaffen wir das? Drei Männerwochen?« Er klingt so begeistert. Da muss ich reagieren.
»Klar!«, behaupte ich lahm.
»Wir haben ja schon andere Sachen geschafft. Zum Beispiel volle Windeln, ne?«, meint mein Dad.
Er ist so stolz drauf, dass er seinerzeit für mich Elternzeit genommen hat. Ich war wohl ein Jahr alt oder so, da hat er sich um mich gekümmert. Meine Mutter wollte unbedingt so ein Forschungsprojekt zu Ende bringen, das sie während des Studiums angefangen hatte. Dafür musste sie für ein paar Monate nach England. Oder Irland. Ich kann mich da ja nicht dran erinnern. Damals war er als Hausmann wohl ein kleiner Exot. Es gibt allein drei Fotoalben »Vater und Sohn«.
»Für Mama ist diese Weiterbildung total wichtig. Und wir können es uns hier doch mal richtig nett machen. Ohne Staubsaugen und Fensterputzen und Bettenmachen und so«, redet mein Vater weiter.
Mir ist völlig egal, was meine Eltern in den
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