Schmerzverliebt
ich würde bevorzugt, weil mein Vater hier an der Schule ist.«
»Ach, das stimmt doch nicht.«
»Sagen Sie das mal meinen Mitschülern!«
Frau Wagner runzelt die Stirn. »Ja, vielleicht hast du Recht. Willst du die Schule wechseln? Soll ich mal mit deinem Vater reden?«
»Um Gottes willen, nein!«
Frau Wagner schmunzelt. »Na, dann kann’s ja nicht so schlimm sein. Du hast doch auch Freunde, Cornelia zum Beispiel. Na, komm, Kopf hoch, diese Stunde fällt aus und außerdem gibt’s bald Ferien!«
Sie geht und ich bleibe erleichtert zurück. Meine Güte, da habe ich gedacht, ich wäre zu spät und bekäme Ärger, und stattdessen ernte ich ein dickes Lob und kann wegen der Klassenarbeit aufatmen. Das muss gefeiert werden!
Bis zur nächsten Stunde bleiben mir noch knapp zwanzig Minuten plus fünf von der kleinen Pause. Ob Sebastian schon da ist? Ich muss ihm die gute Nachricht gleich mitteilen! Soweit ich weiß, hat er heute erst ab der zweiten Stunde Unterricht. Mit ein paar Schritten bin ich am Flurfenster, von wo aus ich den Schulhof und die Fahrradständer sehen kann. Bingo! Er stellt gerade sein Rad ab. Ich laufe, so schnell ich kann, die Treppen hinunter und quer über den leeren Hof auf ihn zu.
»Hi!«, rufe ich atemlos. »Stell dir vor, deine Nachhilfe hat was gebracht!«
»Echt?« Seine Augen strahlen auf.
»Ja, es geht aufwärts! Komm!« Ich nehme seine Hand und ziehe ihn zielstrebig in Richtung Sporthalle. Auf einer Bank sehen wir Conny und Sandra sitzen, sie stecken die Köpfe zusammen und kichern, aber als ich ihnen zuwinke, grüßen sie zurück, als hätten sie sich an unseren Anblick gewöhnt.
»Wo willst du hin, Pia?«
»Hinter die Halle.«
»Und warum?« Aus Sebastians Stimme spricht die totale Irritation.
»Weil man da so schön ungestört ist«, sage ich und beschleunige meine Schritte. Jetzt will ich das Leben auskosten, ich habe die letzte Arbeit nicht versiebt, mich vorhin nicht überfahren lassen – und das Wichtigste: Ich werde geliebt!
Hinter der Halle ist eine Art Gang zwischen der hohen Betonmauer und einem Lattenzaun, der ein Privatgrundstück umschließt. In dem knapp drei Meter breiten Zwischenraum lagert der Hausmeister den Sperrmüll unserer Schule: ausrangierte Tische und Stühle, einen kaputten Kühlschrank, einen Rollladenkasten. Diese Gasse ist der perfekte Ort zum Rauchen, Dealen, Verbotene-Dinge-Tun. Außerdem ist es angenehm duster, die Luft ist kühl und beinahe modrig, und als ich Sebastian sanft gegen die Wand der Turnhalle drücke, kommt es mir vor, als befänden wir uns in einer Grotte.
»Ich weiß nicht, was du jetzt von mir denkst, nach gestern Abend«, beginne ich, während meine Hände nervös am Kragen seines T-Shirts herumspielen, »ob du mich überhaupt noch gern hast …«
»Aber natürlich.« Er sucht meinen Mund mit seinen Lippen. »Natürlich hab ich dich gerne, Pia«, sagt er zwischen Küssen. »Ich hab dich lieber als alles andere auf der Welt.«
»Wirklich? Das hab ich so gehofft.« Meine Finger werden ruhiger, beginnen seinen Nacken zu streicheln.
»Aber sicher. Ich weiß nur nicht, was ich tun kann, um dir zu helfen.«
»Du kannst mich lieben.«
»Das tue ich doch.«
»Jetzt.«
»Was? Hier?«
»Ja.«
»Bist du verrückt?«
»Ja. Nach dir.«
»Und wenn uns jemand erwischt?«
»Fliegen wir beide von der Schule. Dann wirst du mich immer in Erinnerung behalten und niemals vergessen, selbst wenn ich morgen von einem Lastwagen überrollt würde.«
»Wie kommst du denn auf so was?«
»Kann doch sein.« Ich lecke mit meiner Zunge über seinen Hals, dabei spüre ich seinen Puls an der Halsschlagader, er ist aufgeregt, und wie.
»Pia, was hast du vor?« Seine Stimme klingt ängstlich, zugleich aber unglaublich begeistert, ich merke ja schließlich, dass es ihm gefällt, meinen Körper dicht an seinem zu spüren, seine Hände gleiten unter mein T-Shirt, meinen Rock, zittern auf meiner Haut.
»Keine Angst, Sebastian, es kommt schon keiner!«
»Das weißt du doch gar nicht, es kann jederzeit jemand …« Er atmet schwer, schickt bange Blicke zum Weg hinüber, bevor er die Augen schließt und …
»Pia, du bist wirklich verrückt«, flüstert er hinterher.
»Was du nicht sagst.«
Es klingelt zur nächsten Stunde, wir halten einander in den Armen, und Sebastian sagt: »Wenn einer geguckt hätte, hätte ich’s nicht mal gemerkt.«
»Bist du froh?«
»Ich bin selig.« Er wischt sich den Schweiß von der Stirn. »Und du?«
»Auch.« Mit
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