Schmerzverliebt
Quatsch, auf die Größe kommt’s doch gar nicht an. Neben dir sieht Püppi blass aus. Du schaffst das auf jeden Fall, Sandra, du brauchst dir gar keine Gedanken machen.«
»Mach ich mir auch gar nicht. Wenn ich gewinne – gut. Wenn nicht – auch gut. Dann flieg ich nämlich in den Ferien mit meiner Schwester nach Teneriffa und reiße jede Menge süßer Jungs auf.«
»So hübsche Schweinchen wie das von Püppi?«, kräht Steffi los und nun kann sich keiner mehr halten vor Lachen. Ich werde rot, aber mein Selbstvertrauen ist immer noch groß genug, dass mich ihr Spott nicht umwirft.
»Sebastian darfst du aber nicht zum Casting mitbringen. Mit dem dicken Brocken im Schlepptau lassen sie dich gar nicht erst antreten, weil sie befürchten, dass die Bühne unter seinem Gewicht zusammenbricht.« Sandra klopft mir gönnerhaft auf die Schulter.
»Sag mal, Püppi, haben dir deine Eltern die Teilnahme überhaupt erlaubt?«, höre ich auf einmal Connys Stimme. »Benne hat gesagt, sie sind dagegen. Und selbst wenn du gewinnst, lassen sie dich nie bei der Pop-Band mitmachen, solang du keine Einser mehr schreibst.«
»Was du nicht alles weißt!«, rufe ich und funkle Conny wütend an.
»Ich weiß sogar Dinge, die ich eigentlich gar nicht wissen will«, kontert sie, grinst aalglatt und verlässt mit hochgestrecktem Kinn den Umkleideraum.
Trotz meines Streites mit Conny macht mir das Tanzen großen Spaß, nicht nur, weil unsere Lehrerin sich ausgerechnet mein Lieblingslied, Romeo and Juliette , ausgesucht hat, nein, sie lobt mich auch deutlich mehr als Sandra, und während ich gerade mit einem Superselbstbewusstsein und Feuereifer dabei bin, sehe ich auf einmal Sebastian hinter der Trennwand hervorluken. Er trägt Sportsachen und einen Basketball unterm Arm. Was für eine schöne Überraschung! Mir ist vorher ja nie aufgefallen, dass Sebastians Klasse und unsere gleichzeitig Sport haben. Jetzt strenge ich mich natürlich richtig an. Er soll sehen, wie toll ich sein kann! Ich strecke die Beine bis in die Zehenspitzen, schwinge die Hüften, drehe schwungvolle Pirouetten, überschlage mich fast vor Engagement – bis Yasmin plötzlich laut losquiekt: »Hilfe! Conny! Da ist dein Spanner!«
»Quatsch, das ist Fleischwurst, der Lover von Püppi!«, ruft Sandra und gerade in dem Moment winkt Sebastian mir zu. Meine Mitschülerinnen lachen, Sebastian verschwindet rasch wieder hinter der Trennwand, und Sandra fügt unter Kichern hinzu: »Obwohl das eine das andere ja nicht ausschließt!«
»Halt deine dumme Schnauze!«, schreie ich so laut, dass auch unsere Lehrerin es mitbekommt und mich erschrocken ansieht. »Das könnt ihr gut, einen fertig machen, darin seid ihr stark, meine Güte, was seid ihr für Armleuchter!«
Wütend flüchte ich in die Umkleidekabine und lasse mich dort auf die einzige benutzbare Bank fallen. Diese hohlen Barbies! Ich könnte ihnen eine reinhauen! Über mich können sie ja meinetwegen lästern, aber nicht über Sebastian! Zornig kippe ich Steffis Haarsprayflasche um, fetzte Yasmins Haarbürste von der Bank und befördere Sandras Sandalen mit einem Tritt Richtung Toilette. Kurz darauf kommt Conny herein, setzt sich zu mir, holt eine Sprudelflasche aus ihrer Tasche und hält sie mir zum Trinken hin.
»Danke, ich möchte nicht.«
»Lieber ’ne Zigarette?«
»Schon eher.«
»Okay.«
Wir rauchen schweigend. In der Umkleidekabine ist das natürlich verboten. Doch wen kümmert’s! Unsere ganze Schule sieht aus wie ein Abrisshaus. Die kaputten Bänke, die fleckigen, pilzbewachsenen Duschen, in die sich kein Mensch mehr reintraut, die maroden Turngeräte, die aussehen, als seien sie schon von unseren Urgroßeltern benutzt worden.
»Tut mir Leid, was ich vorhin gesagt hab. Ich hab heute irgendwie ’nen schlechten Tag. Und natürlich hast du Recht: Den Kramer dauernd Fleischwurst zu nennen ist nicht okay. Schließlich zählen ja auch die inneren Werte.«
Aus Connys Mund klingt das wie auswendig gelernt. Innere Werte – das glaubt sie doch selbst nicht, da könnte sie genauso gut behaupten, sie interessiere sich neuerdings für lateinische Grammatik!
»Aber die Sache mit seinem Vater«, sagt Conny jetzt, »stört dich das denn gar nicht?«
»Damit hab ich nichts zu tun«, sage ich unwirsch.
»Benne meint aber, dass Sebastian voll hinter seinem Vater steht. Also hat es schon miteinander zu tun.«
»Benne weiß immer alles besser«, schimpfe ich. »Darauf kannst du dich schon mal einstellen, wenn du
Weitere Kostenlose Bücher