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Schmerzverliebt

Schmerzverliebt

Titel: Schmerzverliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Auftritten des Shanty-Chors unterbrochen, wodurch sich das Ganze natürlich ziemlich in die Länge zieht. Zwischendurch versichert die Moderatorin von Radio Werbewelle mehrmals, die Gründung der Pop-Band sei der Höhepunkt des Dorffestes und werde übermorgen, zum Ende der Kirmes, mit der Bekanntgabe der zehn glücklichen Gewinner, die zur nächsten Auswahlrunde in die Kreisstadt fahren dürfen, seine Krönung finden. Die frisch gebackenen Jungstars hätten dann, kurz vor dem Abschlussfeuerwerk, noch einmal einen gemeinsamen Auftritt auf der Bühne.
    Ich trage die Startnummer 37, Sandra die 8. Wir werden in alphabetischer Reihenfolge antreten, daher komme ich mal wieder als eine der Letzten dran. Das macht aber nichts, so kann ich im Kopf noch einmal mein Programm durchgehen. Doch der Rummel um mich herum, die schwüle Hitze, der Gestank der Currywurstschwaden und das Geschnatter meiner Konkurrentinnen machen mich nervös, so dass ich von einem Bein aufs andere trete, mit feuchten Händen und flackerndem Blick den anderen Teilnehmern bei ihren Auftritten zusehe und mich, als ich kurz vor sechs nach fast vier Stunden Warten endlich an der Reihe bin, schon recht erschöpft fühle.
    »Nummer 37!«, ruft die Moderatorin. Es ist so weit. Ich steige die Stufen zur Bühne hoch, und komme mir wieder wie als kleines Mädchen vor, als ich mir mal ein Puppenspiel mit meinen Kasperlefiguren ausgedacht und meinen Eltern vorgeführt habe. Ich hatte den ganzen Tag geübt, war so stolz und glücklich und dachte, sie würden sich sehr freuen. Zuerst sahen sie auch recht angetan zu, dann aber klingelte das Telefon und meine Mutter ging hin und kam erst nach einer halben Stunde zurück. Zu dem Zeitpunkt hatte Benne aber schon jede Lust verloren und mein Vater die Nachrichten im Fernseher eingeschaltet. Meine Mutter erzählte von dem Telefongespräch, irgendeine Arbeitsgeschichte, mein Vater brummelte etwas dazu, sie stritten, das Telefon klingelte erneut … Als ich irgendwann bat, das Stück zu Ende spielen zu dürfen, hatten sie kein Interesse mehr, und als ich quengelte, sagte Mama – und das werde ich nie vergessen –, ich solle mir das Ganze noch mal überlegen, die Geschichte sei unlogisch, der Drache zu zahm und das Schauspielern liege mir überhaupt nicht.
    Diese Erinnerung raubt mir vorübergehend den Atem. Ich bleibe stocksteif stehen, weiß nicht, ob ich es schaffen werde, aufzutreten: Die vielen Leute, vor denen ich mich blamieren kann, allen vorweg Sandra, die Zuckerwatte kauend und feixend direkt in der ersten Stuhlreihe sitzt und das Glück genießt, ihren Auftritt schon erfolgreich hinter sich zu haben. Was, wenn die Moderatorin mich schon nach ein, zwei Minuten abpfeift und ich die Bühne verlassen muss, ohne überhaupt richtig fertig geworden zu sein?
    »Nur keine Schüchternheit, Nummer 37. Du heißt Pia, nicht wahr?«, ermuntert mich die Moderatorin und kommt, ihr Mikrofonkabel hinter sich herziehend, auf mich zu. »Wir sind zu allen fair, keine Angst, jeder bekommt Beifall und es wird über niemanden gelacht!«
    Ich nicke. Die Lähmung meiner Glieder löst sich ein bisschen. Irgendwo in der Menge kann ich Steffi und Yasmin sehen, die beide Daumen hochhalten. Sebastian muss auch irgendwo sein. Er denkt an mich und hält zu mir.
    »Also, Pia, wir wollen dich sehen, zeig uns, was du kannst!«
    »Ja«, sage ich und mache mich bereit.

24 Sebastian
    Wenn’s nach ihm ginge, müsste sie sich nicht für diesen Quatsch hergeben, dieses Cheerleader-Rumgehopse passt genauso wenig zu ihr wie der Spitzname Püppi. Pia könnte ganz andere Dinge tun, zum Beispiel eine richtige Gesangsausbildung anfangen, denkt er und betrachtet, den Kopf auf die Hände gestützt, das Treiben auf der Bühne. Pias Konkurrentinnen sind alle nicht sein Typ, sie sind zwar wie Pia superschlank, haben aber ausdruckslose Gesichter, die mit Mengen von Make-up zugekleistert sind, und wenn sie ihre Münder trotz der Lippenstiftpaste aufkriegen, bringen sie nur die Standardfloskel »Aber hallo, ist das heftig, ich bin voll aufgeregt« heraus. Er hat sich deshalb auch schnell verdrückt. Zwar hätte er während des Wartens gern Pias Hand gehalten, aber unter den vielen dünnen Schönheiten hat er sich nicht wohl gefühlt.
    Als sie dann aber vorne steht, freut er sich sehr, denn ihr Auftritt gefällt ihm nicht nur ausgesprochen gut, er erinnert ihn an den schönen Abend am See, an die ganze traumhafte und intensive Woche, die er mit ihr erlebt hat. Pias

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