Schmerzverliebt
Demo schon zu Ende?«, frage ich so locker wie möglich.
»Allerdings. Es gibt ja kaum noch Leute die sich für die Erhaltung der Natur einsetzen. Auch du hast ja Besseres zu tun! Spielst Model und lässt dich mit dem Sohn vom Oberfolterknecht ein!«
»Hör auf, meinen Vater so zu nennen!«, faucht Sebastian giftig.
»Wieso soll ich ihn nicht so nennen, Fleischwurst?« Benne spielt mit dem Kantholz, das er in der Hand hält. Das Transparent ist bereits abgerissen, aber die Nägel stecken noch drin. »Weißt du überhaupt, was dein Vater so macht?«, fragt er scheinheilig. »Hast du ihn schon mal morgens zur Arbeit begleitet? Hm?«
»Genauso wenig wie du Klugscheißer!«, ruft Sebastian.
»Oh, da wird der fette, kleine Kramer aber nervös! Du hörst das wohl nicht so gern? Diese Fotos klebt ihr nicht in euer Familienalbum, oder?«
Benne rollt eines seiner Plakate auseinander. Ich kenne die grauenhaften Bilder darauf auswendig. Ich will sie mir nicht wieder ansehen. Ich muss dann immer an Pablo denken, wie wir ihn einmal nach einer Zahnbehandlung, noch in Narkose, vom Tierarzt wiederbekommen haben. Er lag auf meinem Schoß wie tot, und ich habe immer auf seinen Bauch geguckt, ob er noch lebt, bin mit meinen feuchten Händen durch sein graues Fell gefahren auf der Suche nach einer Bewegung, einem Herzschlag, habe ihn gestreichelt, ihm tröstende Worte ins Ohr geflüstert – und eines Tages hat man dann mit ihm vielleicht so etwas gemacht wie auf den Bildern dort. Die Verzweiflung trifft mich völlig unvorbereitet. Ich habe das Gefühl, der Boden gäbe unter meinen Füßen nach, ich höre das laute Streiten der beiden Jungen nur noch wie von fern, ich fange an zu wimmern und Tränen laufen über meine Wangen.
»Püppi!« Conny kommt, legt den Arm um mich, aber ich kann mich nicht beruhigen, ich weiß nicht, wie ich den Gedanken jemals aushalten soll, dass mein Pablo, meine Mohrle …
»Pack deine Bilder weg, Benne, siehst du nicht, dass du sie damit fertig machst!«
»Ich? Deinetwegen ist sie doch so durcheinander! Dein Vater macht doch solche Sachen!«
»Und was machst du? Du bist ein Krimineller, du bedrohst Leute, die dir nicht passen, du …«
Es geht wahnsinnig schnell. Benne wirft sich auf Sebastian. Der fällt zu Boden, Benne hechtet hinterher, und bevor Sebastian seinen Kopf mit den Armen schützen kann, versetzt Benne ihm einen kräftigen Hieb mit dem Kantholz.
»Hört auf!« Bennes Freunde stürzen hinzu, ziehen ihn von Sebastian weg. Der hat sich zur Seite gerollt, aber aus einer dicken Platzwunde an der Stirn sehe ich das Blut tropfen.
»Er hat mich beleidigt!« Benne schnauft, sein Gesicht ist weiß, er starrt mich an, selbst erschrocken und plötzlich beinahe hilflos. »Und er soll die Finger von meiner Schwester lassen, sie …«
»Lass jetzt gut sein, Benne, wir gehen!« Seine Freunde nehmen ihn in die Mitte, zerren ihn mit sich. Nur Conny bleibt noch.
»Seid ihr okay?«, fragt sie. »Püppi, geht’s wieder?«
Ich nicke, wische mir die Tränen aus dem Gesicht, versuche, mich zusammenzureißen. »Ja, ja, schon gut.«
»Und du?«
Sebastian antwortet nicht, sondern steht auf und tupft sich mit einem Taschentuch Blut von der Stirn.
»Benne ist nur wegen Püppi so durchgedreht«, sagt Conny. »Er wollte das eigentlich nicht. Ganz sicher tut es ihm jetzt schon Leid und …«
»Das glaubst du doch selbst nicht!«, würgt Sebastian sie ab.
»Zeig mal«, flüstere ich, sobald Conny gegangen ist und wir allein sind. Die Wunde sieht schlimmer aus, als sie ist, aber einer der Nägel hat ihn knapp unterm Auge gestreift. »Puh, da hast du Glück gehabt.«
»Glück?«, fragt er. »Glaubst du, für mich war das angenehm, solche Bilder ansehen zu müssen?« Er lehnt sich an mich und ich lege tröstend meine Arme um ihn.
»Hey!«
»Unser Segelurlaub ist ja wohl auch gestorben. Ich glaube kaum, dass mein Vater dich nach diesem Vorfall mitnehmen wird.«
»Und wenn du ihm nicht sagst, dass es mein Bruder war? Wenn du sagst, wir wären von irgendwelchen Brutalos überfallen worden und …«
»Nein, das kann ich nicht! Ich kann nicht deinetwegen wieder lügen! Weißt du eigentlich, dass wir uns deinetwegen auch Bennes Anrufe haben gefallen lassen! Seine Sauereien mit meinem Fahrrad, seine Diffamierungen in der Schule! Jetzt ist Schluss, Pia! Ich wehre mich jetzt! Und du musst mir helfen!«
Daheim warten schon alle: meine Eltern, Benne, Conny. Sie haben sich im Wohnzimmer versammelt und sehen mich
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