Schmetterlinge im Gepaeck
Lichtschalter, überlege es mir dann aber anders und beschlieÃe, auf Lindseys Art einzutreten. Ich schleiche im Dunkeln vorwärts. Die Reihen pastellfarbener Häuser in dieser Stadt stehen so dicht nebeneinander, dass das Fenster, das meinem genau gegenüberliegt, nur wenige Meter entfernt ist. Ich spähe durch die Finsternis und suche nach Zeichen, dass das Zimmer dahinter bewohnt ist.
Am Fenster hängen keine Gardinen. Ich kneife die Augen zusammen, aber soweit ich erkennen kann, ist das Zimmer ⦠leer. Es ist nichts darin. Ich blicke nach rechts in Calliopes Zimmer. Kisten. Ich blicke wieder geradeaus.
Kein Zwilling.
KEIN ZWILLING.
Mein ganzer Körper atmet auf. Ich schalte das Licht ein und dann die Stereoanlage â Maxâ Band natürlich â und drehe sie laut auf. Ich streife meine Ballettschuhe ab, schleudere sie auf den Schuhhaufen, der meinen Schrank versperrt, und reiÃe mir die Perücke herunter. Ich schüttle mein echtes Haar aus und werfe meine Arbeitsweste auf den Boden. Die dämliche kurzärmlige Bluse, die ich tragen muss, und die hässliche, langweilige schwarze Hose gesellen sich zur Weste. Ich ziehe meine chinesische Pyjamahose aus roter Seide und das dazu passende Top wieder an. Jetzt fühle ich mich wieder wie ich selbst.
Ich werfe einen Blick auf das leere Fenster.
O ja. Ich fühle mich eindeutig wieder wie ich selbst.
Amphetamine dröhnen aus meinen Lautsprechern und ich tanze zu meinem Handy hinüber. Als Erstes werde ich Lindsey anrufen. Und dann Max, damit ich mich dafür entschuldigen kann, dass ich im Teegarten so abwesend war. Vielleicht hat er sogar morgen früh Zeit. Ich muss erst um zwei arbeiten, also könnten wir zu unseren eigenen Bedingungen brunchen gehen. Oder wir könnten sagen, dass wir brunchen gehen, und in Wirklichkeit zu seiner Wohnung fahren.
Ich schlieÃe die Augen und springe und zucke zum stampfenden Schlagzeug. Ich drehe mich lachend im Kreis und werfe meinen Körper von einer Seite des Zimmers zur anderen. Maxâ Stimme klingt angefressen. Seine Texte sind höhnisch. Die Energie seiner Gitarre steigert sich immer mehr und der Bass pulsiert in mir wie Blut. Ich bin unbesiegbar.
Und dann mache ich die Augen auf.
Cricket Bell grinst. »Hi, Lola.«
Kapitel vier
E r sitzt in seinem Fenster. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sein Hintern ist auf dem Fensterbrett und seine Beine â unglaublich lange und schlanke Exemplare â baumeln an der Hausseite, zwei Stockwerke über dem Boden. Die Hände hat er im Schoà gefaltet, als wäre es das Normalste der Welt, seine ahnungslose Nachbarin auszuspionieren.
Ich starre ihn hilflos und entgeistert an und er fängt an zu lachen. Sein ganzer Körper wackelt dabei und er wirft den Kopf zurück und klatscht in die Hände.
Cricket Bell lacht mich aus. Und klatscht .
»Ich hab dich gerufen.« Er versucht, ernst zu gucken, aber sein Mund wird vor Vergnügen nur noch breiter. Ich kann praktisch seine Zähne zählen. »Ich hab dich ein Dutzend Mal gerufen, aber deine Musik war zu laut, also hab ich einfach abgewartet. Du bist eine gute Tänzerin.«
Ich bin so gedemütigt, dass ich keinen sinnvollen Satz zustande bringe.
»Tut mir leid.« Er grinst noch immer, aber jetzt ist es ihm sichtlich unangenehm. »Ich wollte nur Hallo sagen.«
Er schwingt mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung die Beine in sein Zimmer. Die Art, wie er auf den FüÃen landet, hat eine Leichtigkeit, eine Anmut an sich, die ich sofort wiedererkenne. Eine vertraute, quälende Scham überkommt mich. Dann streckt er sich und ich staune erneut.
»Cricket, du bist so ⦠groÃ.«
Was vermutlich das Dämlichste ist, das ich zu ihm sagen kann.
Cricket Bell war immer schon gröÃer als die meisten anderen Jungs, aber in den letzten zwei Jahren sind sicher fünfzehn Zentimeter hinzugekommen. Mindestens. Sein schlanker Kör per â früher mager und trotz seiner anmutigen Bewegungen unbeholfen â hat sich ebenfalls verändert. Er ist kräftiger geworden, wenn auch nur unmerklich. Weniger kantig. Aber darauf hinzuweisen, dass jemand groà ist, ist in etwa so, als würde man auf das Wetter hinweisen, wenn es regnet. Offensichtlich und überflüssig.
»Das kommt von den Haaren«, antwortet er mit ernster Miene. »Die Schwerkraft war immer schon mein ärgster Feind.«
Sein dunkles Haar
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