Schmetterlinge im Gepaeck
ich meine Haare locken kann. Meine falschen Haare. Sie balanciert chemische Gleichungen aus, während ich mir den Handdampfglätter ihrer Eltern leihe, um meinem weiÃen Haar Locken in der passenden GröÃe zu verleihen. Später werde ic h sie mit Sprühkleber an meiner Marie-Antoinette-Perücke befestigen. Aber zuerst muss ich dafür sorgen, dass sich die blöden Locken auch locken.
»Hast du nichts GröÃeres? Oder Kleineres?« Ich deute auf die zylinderförmigen Gegenstände, die ausgebreitet vor mir liegen: Füller, Filzstifte, Gläser, sogar ein kleines Fernrohr. Nichts davon hat die richtige GröÃe.
Lindsey blättert eine Seite in ihrem Chemiebuch um. »Keine Ahnung. Es ist deine Perücke. Gib dir mehr Mühe.«
Ich durchsuche ihr Zimmer, weià aber bereits, dass ich nichts finden werde. Hier drin ist es so ordentlich, dass ich es schon gesehen hätte, wenn es etwas zu finden gäbe. Die Wände sind in klassischem Nancy-Drew -Buchrücken-Gelb gestrichen. Ihre komplette Sammlung der Romane steht ordentlich aufgereiht in den oberen Fächern ihres Bücherregals. Darunter, alphabetisch nach Autorennamen sortiert, gibt es Titel wie Die berühmtesten Spione der Geschichte , Detektivarbeit für Anfänger und Das Tao der Verbrechensbekämpfung . An ihrem Bett stehen akribisch sortierte Zeitschriftenordner mit bis zu vier Jahre alten Ausgaben des Eye Spy Intelligence Magazine und einem Dutzend Kataloge für Spionagegeräte mit Post-its an den Seiten, von denen sie sich etwas wünscht.
Aber in ihrem Zimmer gibt es keinerlei weitere zylindrische Gegenstände.
»Und im knappsten Rennen des Abends kämpft der New Yorker Senator Joseph Wasserstein weiterhin darum, sein Ma ndat zu verteidigen«, sagt der toupet-bedeckte Nachrichtensprecher. Es ist Wahltag, und da die Lims kein Kabelfernsehen haben, läuft auf jedem Kanal die langweilige Berichterstattung. Wir haben den Fernseher nur an, um Neil Diamond zu übertönen, den Mrs Lim in ohrenbetäubender Lautstärke hört. Das ist so ein superalter Popsänger, der Hemden mit Pailletten trägt. Aber selbst sein Glitzern könnte mich nicht dazu bringen, ihn zu mögen, doch das würde ich ihr nie sagen. Wenn sie nicht gerade megaleckeres koreanisches Barbecue im Restaurant kocht, bloggt sie für seine zweitgröÃte Fanseite.
Ich zeige auf den Nachrichtensprecher. »Der Typ könnte mir bestimmt helfen. Ob er ernsthaft glaubt, dass der Teppich auf seinem Kopf echt aussieht?« Die Sendung schaltet zu einem Kurzfilm über Senator Wasserstein und seine Familie, d ie auf die endgültigen Stimmauszählungen warten. Seine Fra u hat perfekt frisierte Haare und dieses typische strahlende Politikerlächeln, aber sein Teenager-Sohn scheint sich in seiner Haut nicht ganz wohlzufühlen und wirkt fehl am Platz. Eigentlich ist er ganz süÃ. Ich sage das Lindsey und sie blickt zum Fernseher hinüber. »O Mann. Du bist so vorhersehbar.«
»Was?«
»Er wirkt total unglücklich. Du stehst nur auf Jungs, die irgendwie angefressen aussehen.«
»Stimmt doch gar nicht.« Ich schalte den Fernseher aus und Neils Vibrato lässt den FuÃboden erzittern.
Lindsey lacht. »Du hast recht, Max ist geradezu bekannt für sein bezauberndes Lächeln.«
Meine Miene verfinstert sich. Zwei Sonntage sind vergange n und an beiden hatten wir keinen Brunch. Max hat am Morgen nach Halloween angerufen und verkündet, er werde nicht kommen â an diesem Sonntag nicht und auch an keinem anderen mehr. Ich kann es ihm nicht verübeln, dass er die Ãberwachung leid ist. Meinen Eltern habe ich erzählt, dass noch mehr Konzerte angesetzt seien, und sie sind immer noch so sehr von Norah eingenommen, dass sie nicht weiter nachgehak t haben. Ehrlich gesagt hoffe ich, meine Eltern vergessen irgend wie, dass sie den Brunch jemals für nötig gehalten haben.
Ich sehe Max nur ab und zu â vor einer Wochenendschicht, in einer Abendessenpause und einmal nach der Schule in seiner Wohnung. Meine Eltern dachten, ich wäre bei Lindsey. Aber Cricket habe ich viel gesehen. Er hat nur einen weiteren Abend gebraucht, um das Panier fertigzustellen, plus einen Nachmittag bei mir zu Hause für die letzten Anpassungen. Das Ding ist riesig und überwältigend. Als würde man das Gerippe eines horizontalen Wolkenkratzers tragen.
Mit der Schnürbrust
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