Schmetterlingsgeschichten - Chronik I - Genug geschlafen (German Edition)
Gedanken rasten. Nichts
war leichter, als einen jungen Bander zu überrumpeln.
Wo
war er?
S ie hatte
sich nun doch etwas Anderes angezogen als Jogging-Hose und T-Shirt. Sie wollte
raus.
Außerdem
wollte sie unbedingt vermeiden, dass der kleine betrunkene Japaner wieder
auftauchte. Sie hatte zwar eine Jeans an, aber doch noch den Kapuzenpulli.
Make-up war auch drauf, und zur Not hatte sie eine Sonnenbrille dabei. Als sie
ihr Zimmer verließ, war Ruhe auf dem Gang eingekehrt, und sie ging zum Aufzug.
Sonja folgte ihr ohne Bedenken.
»Meinst
du nicht, dass Schmetterlinge in einem Hotel-Flur ein bisschen zu auffällig
sind?«, fragte Sarah.
»Hmm,
lass mich kurz überlegen. Nein!«, war die prompte Antwort. »Du musst es ja wissen…
ich bin kein Schmetterling.«
Als
sich der Aufzug näherte, machte es »Ping« und die Türe ging auf.
Sie
waren in der dritten Etage und Sarah drückte auf Erdgeschoss. Die Türen
schlossen sich, und der Fahrstuhl setzte sich abwärts in Bewegung. Auf der
Etagenanzeige über der Tür konnten die beiden sehen, dass sie sich ihrem Ziel
näherten. »Ping«, und die Tür öffnete sich erneut. In der Hotel-Lobby war nicht
sonderlich viel los. Nur eine Familie stand an der Rezeption und ein
rothaariger Junge näherte sich grinsend von der Gästetoilette.
»Für
uns ist reserviert worden. Feuerstiel. Unser Name ist Feuerstiel«, konnte sie
den Mann sagen hören. Mutter und Tochter schlenderten derweil in der Lobby rum
und schauten sich die Bilder an, die von irgendwelchen Künstlern ausgehängt
waren. Es schien, dass das Hotel seinen Eingangsbereich in eine vorübergehende
Ausstellung verwandelt hatte. Das war Sarah vorher gar nicht aufgefallen.
Mutter
und Tochter Feuerstiel blieben vor einem Bild stehen und das Mädchen fragte
leise: »Mama? Was ist das da überhaupt auf dem Bild?« Die Mutter antwortete
ebenso leise wie bedächtig. »Ich habe keine Ahnung. Das ergibt überhaupt keinen
Sinn – Kunst halt. Das müssen wir auch nicht verstehen.« »Ah, aber warum ist
das dann so teuer? Auf dem Schild steht 10.000 Euro.« »Pass auf, mein Kleines.
Das
ist so: Richtig gute Künstler gibt es ganz selten. Und richtige Kunstliebhaber
auch. Damit sich diese Menschen auch finden, bekommen diese Bilder so einen
hohen Preis. Jetzt stell dir mal vor, uns würde das Bild gefallen. Meinst du,
dann wäre das so teuer?«
»Nee,
Mama, da hast du recht.« »Siehste! Und wenn das dann doch ein guter Künstler
wäre, und der hätte den Preis niedrig gehalten, dann hätte er zwei Probleme...«
»Und die wären?« »Wir würden das Bild immer noch nicht kaufen, auch wenn es nur
zwei Euro kosten würde, und die Kunstliebhaber würden auch nicht kommen, weil
sie von dem niedrigen Preis, und damit von dem Bild gar keine Notiz nehmen.«
Sarah
war stehen geblieben und hatte sich alles mit angehört.
Irgendwas
an der Familie stimmte nicht, oder wurde sie jetzt schon paranoid?
Der
kleine Junge, der neben seinem Vater an der Rezeption stand, hatte für einen
kurzen Moment seine Sonnenbrille abgenommen und sich die Augen gekratzt. Waren
sie knalleblau gewesen?
Sonja
hatte sich in eine große Pflanze gesetzt, damit sie nicht ganz so sehr auffiel.
Sarah dachte sich: »Ich bin ja zum Testen unterwegs… also los.«
Sie
tat so, als wenn sie ein Bild betrachten würde und schaute dabei leicht in die
Richtung des Jungen. Schnell zog sie sich noch die Sonnenbrille auf. Jetzt war
der Rotschopf bei den beiden an der Rezeption angekommen und sprach den Jungen
an. Die Kriegerin konnte aber nichts verstehen, dafür waren die Jungs zu weit
weg. Sie konzentrierte sich und dachte: »Schau mich an und nimm deine Brille
runter!« Sie wartete, aber nichts passierte. Noch mal. »Schau mich an und nimm
deine Brille herunter, damit ich deine Augen sehen kann!«
Es
passierte wieder nichts. Was nun?
Für
einen Test war das jetzt aber eher erfolglos. Vielleicht klappte es ja nur bei
Erwachsenen?
»Finden
sie das Bild nicht auch so wunderbar aussagend? Diese innere Freude – und doch
dieser unübersehbare Zorn, den der Künstler damit ans Tageslicht bringt. Diese
Harmonie von Tag und Nacht.
Diese
vereinten Widersprüche. Einfach brillant. Nicht wahr?«
Sarah
hatte weder mitbekommen, dass sich ein älterer Herr mit französischer
Baskenmütze und ziemlich vergammelten Klamotten neben sie gestellt hatte… noch
hatte sie sich das Bild überhaupt
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